Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Tempel und Wärmestuben

Die Berliner Theater starten in die neue Saison

Wenn die fröhliche Zeit des Draußensitzens vorbei ist, muß der Kulturbeflissene nicht lange warten , daß die Theater wieder öffnen und um seine Gunst buhlen. Selbst Staatstheater brauchen Zuschauer: Man weiß ja nie, was sich Senatoren so alles ausdenken können, wenn sie sich langweilen. Deshalb tut man alles, um sie von trüben Fischereien abzulenken. Der Normalbesucher ist natürlich erfreut, sich wieder bilden zu können, für manch einen ergibt sich gar ein schöner Nebeneffekt: Er braucht nicht zu heizen. Selbstverständlich soll niemandem unterstellt werden, daß er nur deswegen die geheiligten Hallen aufsucht, aber der Legende nach gibt es ja noch echte, wenig bemittelte Bohèmiens in dieser Stadt, die solchen Zwängen ausgesetzt sind. Als improvisationsfreudige Lebenskünstler wissen sie das Angenehme mit dem Nützlichen zu verbinden. Um die Auswahl unter den staatlichen Wärmestuben ein wenig zu erleichtern, sei hier einiges zum zu erwartenden Bildungsgewinn gesagt.

Die großen Theater der Hauptstadt legen sich zu Beginn der neuen Spielzeit so richtig ins Zeug, vor allem natürlich die mit einem neuen Intendanten. Den großen Premierenreigen hat jedoch das Berliner Ensemble eröffnet, und zwar mit Hausbesitzer Hochhuths Stellvertreter, glücklicherweise in diesem Jahr nicht mehr vom Autor selbst inszeniert. Im Oktober dann noch drei Premieren, darunter Fegefeuer in Ingolstadt und Die Unsichtbare. Da haben die anderen schon ihr September-Premieren-Feuerwerk abgefackelt. Taktisch geschickt. Gefackelt hat dann das Deutsche Theater, das seine zwei Bühnen gleich mit vier neuen Inszenierungen nebst dazugehörigen neuen Regisseuren ins Rennen schickt. Die neuen Pferdchen müssen ausgeführt werden, und beim großen Presseauflauf Anfang September war Intendant Bernd Wilms auch sehr zuversichtlich, die Premieren seien ausverkauft. Das DT hat sich zudem viel junges Schauspielerblut angelacht und prügelt sich ab Ende September mit der Schaubühne um Aufmerksamkeit, zumindest was die Premierentermine angeht. Ansonsten bleibt das DT bei Klassikern und einigen Erstaufführungen meist englischsprachiger Autoren. Hervorgehoben seien: Der Leutnant von Inishmore und Steine in den Taschen: Beide Stücke spielen in Irland, und so lag die Idee nahe, eine „Irische Nacht" zu veranstalten (27. Oktober). Eine Buchpremiere wird dazu veranstaltet, es wird Guinness ausgeschenkt, außerdem darf wahrhaft irisch getanzt werden. Überhaupt verspricht der neue DT-Spielplan mehr – mehr Spaß, mehr Tanz in allen Sälen, heißt: fröhliches Beisammensein nach den Vorstellungen, mehr Lesungen mit bekannten Autoren wie Alexander Osang oder Max Goldt. Und nicht zu vergessen: das DT-Magazin, geleitet von Roland Koberg (für umsonst).

Das Gorki hat derweil schon zwei Uraufführungen hinter sich. Zum einen Die Heldin von Potsdam von Theresia Walser und ein Stück, das Neue Mitte heißt. Auch hier neue Kehrbesen und frische Gesichter, aber nicht nur. Viele Schauspieler des alten Ensembles wurden übernommen. Am 29. September wird es ein Fest und eine Premiere geben: „Familie Gorki I", was auf Fortsetzung schließen läßt. Wiederaufnahmen aus dem alten Repertoire gibt es kaum. Der neue Intendant Volker Hesse will einen „Gorki-Tempel, einen Ort der Denklust und der Phantasie", so nachzulesen im Heft zur diesjährigen Spielzeit. Das läßt hoffen. Beide Leiter (vom Gorki wie vom DT) schwärmen übrigens von der Durchmischung ihrer Ensembles und der verschiedenen Lebensläufe. Überhaupt ähnelt sich hier viel. Aber man sollte das nicht weiterdenken.

In der Schaubühne wartet man derweil mit beinahe schon Altbewährtem auf. Hier gab es keine Umstürze, dafür sind viele Uraufführungen angekündigt, so etwa Supermarket von Biljana Srbljanovi´c (23. September), eine neue Sasha-Waltz-Produktion im Winter, und ein Klassiker, Macbeth, ist für Januar annonciert. Das zweite Festival Neuer Internationaler Dramatik wird stattfinden, der „Streitraum" weiter bestehen, das nachtcafé ebenso.

Zum Schluß klinkt sich die Volksbühne wieder ein mit einer Art Dämonen-Fortsetzung, wieder Dostojewskij. Diesmal sind Erniedrigte und Beleidigte auf der Bühne zu sehen. Und danach endlich wieder ein Stück von Christoph Marthaler, Die 10 Gebote. Die Volksbühne bleibt sich sonst auch treu, die Salons sind weiterhin geöffnet.

Insgesamt nähern sich die großen in der Preisgestaltung einander an, Ermäßigungsberechtigte zahlen höchstens 15 DM auf allen Plätzen. Immer öfter werden die hehren Stätten auch nachts geöffnet sein für diverse Veranstaltungen. Beinahe alle haben endgültig ihr Herz für die zeitgenössische (englische) Dramatik entdeckt. Überall gibt es irgendwann Ringelpietz. Fast scheint es, als hätten die Theaterleitungen endgültig ihre Kultureinrichtungen als konkurrierende Betriebe entdeckt. Es gibt die DT-, wie auch die BE-Kundenkarte mit Ermäßigungen. Eigentlich nichts Neues, nur hieß das früher Abonnement. Letzten Endes ist das natürlich gut für uns Zuschauer, man fühlt sich umsorgt und begehrt. Und gleich wird einem wärmer. Ob das wohlige Gefühl auch beim Kuscheln in die Sitze der Zuschauerräume aufkommt, bleibt abzuwarten. Hoffentlich wird es nicht zu bequem.

ib

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