Ausgabe 09 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Im UG?

Gibt schon so Jobs. Er hier zum Beispiel, der Wachschutzbursche in seiner Phantasieuniform. Königsblau, mit goldenen Streifen. Versucht majestätisch zu gehen, nicht immer so schluffig. Aufrecht! Gerade! Aber die dürren Spinnenbeine zucken bloß nach vorne weg. Viel zu schlaksig ist er. Auch die Arme zappeln wie bei so'ner schlecht geführten Marionette.

Im Durchgang zur S-Bahn hängen die Jungs rum. Logisch, hier gibt's ein Dach, hier regnet's nicht. Rauchen, reden, schubsen. Dosenbier. Blasse Mädels tun, als ob sie nicht dabeistehn würden. Tippen in die Taschentelefone, zeigen sich die Displays, kichern. Trinken aus den Dosen der Jungs. Aber das geht natürlich nicht, ist ja klar. Links das Einkaufszentrum, rechts die S-Bahn, in so'nem Durchgang kann man nicht rumhängen.

Können schon. Aber dürfen nicht. Sonst fahrn die Leute noch mit dem Auto. Und kaufen woanders ein, ist ja klar. Vielleicht gehn sie von alleine weg, wenn er langsam auf sie zuschlendert. Dann müßte er nicht reden. Ist sowieso gleich Feierabend.

- He, Kalfaktor! Du Schwuchtel!

- Ey, na und, solang die Weiber gucken?

Daß das aber auch nicht reicht, einfach rumzulatschen. Einfach die Uniform zu zeigen. Daß man immer reden muß.

- Jetzt verpißt euch mal.

Daß er mit denen da immer noch reden muß. Damit auch jeder mitkriegt, daß das mal seine Kumpels waren. Sieht man doch sowieso. Zähne schief und grau. Auf der Hand das Tattoo, die zerlaufene Tinte. Das geht nicht von heut auf morgen weg, ist ja klar. Sie nennen ihn Kalfaktor. Es ist wie im Knast, hat der eine von den Kumpels mal gesagt. Bei guter Führung wirst du zum Kalfaktor ernannt. Dann darfst du dich in dieser Anstalt frei bewegen, und von deinem mickrigen Anscheißerlohn kaufst du dir, was du früher geschnorrt hast oder geklaut. Naja, das kann man so und so sehen.

Noch eben in die Videothek, zwei, drei Filmchen. Hannibal, aber das findet seine Freundin eklig. Oder Forrester Gefunden. Finding Forrester. Ist der jetzt eigentlich schon draußen oder erst nächste Woche?

Uniform auf den Bügel. Nochmal glattstreichen. Das Nylonhemd stinkt. Sieht gut aus, aber stinkt. Hat alles seine zwei Seiten. In der Duschwanne sitzt eine Spinne. Eine dünne schwarze Kindersonne auf weißem Porzellan. Wasser marsch. So, jetzt geh mal unter, Sonne. Der Duschschlauch ist undicht. Über der Anschlußmutter spritzt ein feiner Strahl waagerecht weg und knattert auf den Duschvorhang. Genau auf die grauen Punkte. Wenn er den Schlauch einfach nicht repariert, verschwindet der Schimmel vielleicht mit der Zeit. Hat alles seine zwei Seiten.

Die Spinne rutscht ins Ausgußsieb. Wasser abdrehn. Da sind noch die Enden von den Spinnenbeinen. Klammern sich fest. Die Spinne zieht sich aus dem Ausguß raus. Wasser nochmal aufdrehn. Wieder acht Spinnenfüße, die sich festklammern, acht kleine Häkchen.

Wasser wieder abdrehn. Vielleicht erst Hannibal, dann Forrester. Fein Ding Forrester. So rum vielleicht besser vorm Schlafengehen. Die Beinchen ziehen eine schwarze Leibkugel aus dem Ausgußloch heraus. Wie sie an diesem Leben hängt, an diesem kleinen Badezimmerspinnenleben. Er dreht das Wasser wieder auf, dreht's zu, reißt ein Blatt Klopapier ab, greift ins Ausgußsieb. In die Schüssel mit dem Zeug. Alles was recht ist.

Gleich kommt seine Freundin von der Arbeit. Sie jobbt in der Einkaufspassage am Potsdamer Platz. Im Scheißhaus im ersten Stock. Einmal pissen fünfzig Pfen-nig. (Im Bahnhof kostet das doppelt soviel.) Ihr Chef hat neulich einen Zettel an den Ausgang gehängt. Am Computer hat er den gemacht, ist ja klar. Die Buchstaben so groß wie in der Zeitungsüberschrift. Auf dem Zettel steht: "Bitte besuchen Sie auch unsere Toilette im Untergeschoß." So ist das.

Bov Bjerg

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