Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Stadträtin als Reinemachfrau

Über den Versuch, die Alkoholiker vom Helmholtzplatz zu vertreiben

Bezirksstadträtin Ines Saager lebt offenbar gerne in einer sauberen, aufgeräumten Umgebung. Entsprechend achtet sie beim Großreinemachen peinlich darauf, daß auch der kleinste Schmutzfleck ausgemerzt wird.

Kurz bevor der Helmholtzplatz im Prenzlauer Berg nach zweijährigen Sanierungsarbeiten Mitte Juli wiedereröffnet wurde, sorgte Frau Saager für Schlagzeilen. Aufgrund von Anwohnerbeschwerden sah sie sich ­ als Stadträtin für Gesundheit, Natur und Umwelt oberste Platzherrin ­ veranlaßt, den Trinkern vom „Helmi" den Krieg zu erklären. Sie kündigte stündliche Polizeikontrollen an, die das Alkoholverbot durchsetzen und ertappte Sünder des Platzes verweisen sollten.

Grundlagen für ihr harsches Durchgreifen sind das Berliner Polizeigesetz ASOG, das Berliner Straßengesetz und das Grünanlagengesetz. Das ASOG ermöglicht auf von der Polizei als „gefährlicher Ort" deklarierten Plätzen ­ der Helmholtzplatz gehört zu ihnen ­ verdachtsunabhängige Ausweis- und Personenkontrollen sowie Platzverweise; laut Straßengesetz ist das Alkoholtrinken auf dafür nicht ausgewiesenen Flächen ordnungswidrig. Anwendung findet das Gesetz jedoch nur bei den ­ vom Privat-Alkoholiker gerne als Penner bezeichneten ­ „öffentlichen Trinkern", die sich regelmäßig an einer Stelle treffen und dort ihrer Sucht frönen.

Zu den Beschwerden von Helmholtzplatz-Anwohnern kam es, weil infolge der Bauarbeiten der Platz zuletzt völlig gesperrt war. Bis dahin hatte sich der Standplatz der Alkoholiker am Trafohaus in der Platzmitte, abgeschirmt von den umliegenden Wohnhäusern, befunden. Nach der Sperrung trafen sie sich auf den umliegenden Straßen und störten so manchen Bürgers wohlverdiente Ruhe.

Frau Saager sagt, daß der Platz für alle da sei, aber sie fordert auch: „Null Toleranz dem Alkohol am Helmi" ­ und meint damit natürlich einzig die „öffentlichen Trinker", die Bier und Wein schlürfenden Kneipengänger rund um den Platz stören sie ja wohl nicht. Da der Begriff „alle" jedoch kaum etwas anderes als die gesamte Gesellschaft bezeichnen kann, verweigert Frau Saager mit ihrer merkwürdigen Argumentation den Alkoholikern das Recht, überhaupt Mitglieder eines Gemeinwesens zu sein, nicht nur des Kiezes, aus dem der größte Teil der Trinker kommt, sondern jeglichen Gemeinswesens. Diesem Gedankengang folgend erscheint es dann sogar konsequent, zu rabiaten Mitteln gegen die für vogelfrei Erklärten zu greifen.

Im Zuge der von ihr betriebenen Eskalation versuchte Frau Saager sogar, die Mitarbeiter des Platzhauses zu instrumentalisieren und aus ihnen eine Art Hilfspolizei zu machen. Das Kiezkulturprojekt „PlatzHaus" ist durch den mit Frau Saagers Behörde geschlossenen Nutzungsvertrag für das Gebäude gewissermaßen von ihrer Gunst abhängig, dennoch weigerten sich die Mitarbeiter, die Polizei zu rufen, sobald einer der mißliebigen Trinker in Hausnähe auftauchte ­ wie es Frau Saager wünschte ­ sondern setzten weiter auf den Dialog.

In den Wochen vor der feierlichen Platzeinweihung am 13. Juli tat der Bann der Stadträtin seine Wirkung: Die Polizei besuchte mehrmals täglich mit großem Aufgebot den Helmholtzplatz und vertrieb die Alkoholiker. Die allerdings auch immer wieder zurückkehrten. Nach der Eröffnung und einer von Kiezinitiativen wenige Tage später organisierten Demonstration unter dem Motto „Ich bin Trinker, und das ist auch gut so!" beruhigte sich die Lage. Wie von den Gegnern der Saagerschen Brachialmethoden erwartet, verteilten sich die verschiedenen Interessengruppen (erholungsuchende Anwohner, Kinder, Alkoholiker) auf dem Platz, so daß es nur marginal zu Belästigungen kam. Die Polizei hält sich seitdem zurück, schreitet zwar hin und wieder ein, erteilt aber kaum noch Platzverweise.

Der Alkoholismus ist ein gesellschaftliches Problem, mit ordnungspolitischen Maßnahmen ist ihm nicht beizukommen. Eine Vertreibung führt ohnehin nur zur Verlagerung der Not des Suchtkranken aus dem Gesichtsfeld des Nicht-Alkoholikers, der physischen Verdrängung folgt die seelische Verdrängung: Das Problem ist für mich nicht sichtbar, also gibt es kein Problem. Wenn schon eine völlige Integration der Trinker unmöglich ist, sollte doch zumindest die Basis für eine Koexistenz zwischen ihnen und den – sagen wir – „normalen" Bürgern geschaffen werden: Eine Koexistenz, die auf der Einhaltung von bestimmten Regeln, aber gerade auch (und das vergißt manch einer) auf Toleranz von beiden Seiten fußen muß. Das ist bestimmt nicht leicht, aber machbar.

Frau Saager ging es letztlich wohl nur um die Säuberung ihres Verantwortungsbereichs, der Helmholtzplatz sollte von all denen, die nicht in ihr Bild vom herausgeputzten Idyll paßten, befreit werden. Daß sie als Politikerin und nicht zuletzt als Mensch eventuell auch eine soziale Verpflichtung haben könnte, ist ihr scheinbar nie in den Sinn gekommen.

Sabine Goes

Foto: Bernd Potschka

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