Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Zeitzeugen in kleiner Auflage

Ein Einmannbetrieb ediert außergewöhnliche Foto-Bände

Der Berliner ex pose verlag ist ein Einmannbetrieb und hat schon Ärger mit dem Finanzamt bekommen, weil er keinen Gewinn verzeichnet. Darüber kann sich allerdings auch nur das Finanzamt wundern, denn mit solchen Foto- und Text-Bild-Bänden, wie sie Hansgert Lambers ediert, ist nun mal kein Gewinn zu machen ­ solange sie erschwinglich bleiben sollen.

Lambers' Leidenschaft gilt der Fotografie. In seinem Verlag entstanden wunderbare Bände wie die Anthologie über DDR-Fotografinnen (DDR Frauen fotografieren), ein Bild-Text-Band über die deutsch-polnische Grenze (Land ohne Übergang) oder ein Band über russische Straflager (Zona ­ Zone). Land der Arbeit, ein ausgesprochen aufwendiges wie fesselndes Buch über ehemalige Industriereviere im Osten, fand trotz der Brisanz des Themas leider so gut wie keine öffentliche Resonanz.

Die Editionen des ex pose verlags sind von großer Sorgfalt, Genauigkeit und Ruhe geprägt, einer Ruhe, die unbeirrt von Zeitgeist- und Trendgeschrei andere Blicke und Sichten sucht ­ nicht dicke Auflagen.

Auch Lambers' neuestes Projekt wird beim Finanzamt kaum für Begeisterung sorgen, dafür aber bei Freunden guter Fotografie. Die „Edition 365" ist eine Reihe, in der jeweils thematische Arbeiten einzelner Fotografen gezeigt werden. Jeder Band erscheint in einer 365er-Auflage. Gebunden in schlichte graue Pappe und mit dezentem Layout versehen, wecken die Bändchen im Oktavformat schon Sympathie, wenn man sie nur in die Hand nimmt. Das Thema ist Stadtfotografie: Auf vielfältigste Weise zeigen die Autoren Berlin ­ abseits von Metropolenwahn oder purer Ästhetisierung. Es geht um die Stadt als lebendigen Organismus.

Der Italiener Gino Puddu beispielsweise zeigt geheimnisvoll wirkende Erscheinungen an einem völlig unspektakulären Ort – eine poetische kleine Geschichte. Hansgert Lambers' eigener Band heißt Mein Berlin 1957–1961, mit einer Leica M3 fotografierte Lambers, Jahrgang '37, damals in Schöneberg, Charlottenburg, Tempelhof und Kreuzberg. Es sind Bilder eines Westberliner Alltags kurz vor der Teilung, die Situationen teilweise verblüffend, die Atmosphäre verhalten, teils melancholisch. Hier wird jedes markige Wort, jede Parole still konterkariert.

Florian Profitlich, Jahrgang '68, nennt seine Sammlung von Panoramafotografien schlicht Stadt. Die zwischen 1997 und 2000 entstandenen Bilder zeigen zentrale Berliner Orte wie den Alexanderplatz, den Breitscheidplatz, das Kulturforum oder den Potsdamer Platz, aber auch die Schillstraße oder das Baufeld der Dorotheenblöcke. Sie sind weit mehr als bloße Dokumentation, denn oft handelt es sich um Orte, über die heftig gestritten wurde, wie Alexander- oder Schloßplatz. Profitlichs Panoramen aber stellen den verengten Sichten und Argumenten eine so weite Perspektive gegenüber, wie sie das menschliche Auge mit einem Blick nicht erfassen kann. Man sieht plötzlich neue Bezüge und Zusammenhänge. Und wenn Profitlich am S-Bahnhof Friedrichstraße fotografiert, just in dem Moment, als das kleine Wäldchen gerodet dort liegt, ist das keineswegs bloß ein Zufall, sondern ein Kommentar.

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ex pose verlag, c/o Hansgert Lambers, Parkstraße 56, 13187 Berlin

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Foto entnommen aus: mein Berlin 1957-1961

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  Ausgabe 08 - 2001