Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Ein Untoter

Der Palast erzählt davon, daß hier Geschichte stattfand

Die Schloßplatzdebatte schwelt, aber über den Palast der Republik spricht man immer seltener. Nun gibt es ein Buch für alle, die die ganze Geschichte verstehen wollen. Was war der Palast, bevor er seine Karriere als Touristenschreck begann? Warum wurde er gebaut, wie wurde er betrieben? Was könnte, was sollte von ihm bleiben? Das Buch ist ein Standardwerk mit Anspruch auf Vollständigkeit: Zeitleiste, Pläne und Daten, Listen mit allen relevanten Schriften und Filmen, Internetadressen und Archiven, das komplette Programm des Hauptsaals und natürlich jede Menge wunderschöner wie bedrückender Bilder. Vor allem aber Berichte: Sie sind von Spezialisten geschrieben, die ihr jeweiliges Thema in aller Breite und Tiefe abhandeln. Auch für Liebhaber ist das schwer genießbar, aber, so werden sich die Herausgeber gedacht haben, die Diskussion um dieses Gebäude hat genug schnelle Schüsse aus der Hüfte ertragen. Höchste Zeit, einen kräftigen Schuß publizistischer Seriosität, nein ­ nicht abzufeuern, sondern: einzuschenken. Wohl bekomm's: Erst muß der gewissenhafte Leser die endlosen, so redlichen wie faden Referate zu städtebaulichen Hintergründen und politischen Vorspielen, zur Entwurfsgeschichte, Finanzierung und Konstruktion, zu Innenausbau und Einrichtung, Funktionsweise und Programmgestaltung geschluckt und verdaut haben, bis er endlich begreift: Dieser Bau war kein böser Grenzturm, kein pathetisches Lenindenkmal und auch kein lächerlicher „Lampenladen", sondern ein hochkomplexes, widersprüchliches Gebilde, das von weit mehr berichtet als von der Perfidie und Provinzialität des alten Regimes. Der Palast der Republik erzählt davon, daß hier im Osten Geschichte stattfand ­ politische, Wirtschafts-, Technik- und Kulturgeschichte. Wenn das alle kapiert haben, kann die Diskussion beginnen. Auch die Schloßplatzdebatte hat ihren Platz in diesem Buch, aber auch hier durchströmt eine ruhige wissenschaftliche Redlichkeit die Texte.

Die Schloßplatzdebatte: 1950 begann sie mit dem Abriß des Hohenzollernschlosses, auch der Bau des Palastes der Republik 25 Jahre später hat sie nur vorläufig beendet. Die Schließung des Palastes 1990 und der Beschluß zu seiner Entkernung, die diversen städtebaulichen Wettbewerbe, die unzähligen öffentlichen Stellungnahmen und Initiativen haben die Debatte zu einem beliebten Streitthema gemacht. Zur Zeit scheinen die Neupreußen in der Offensive zu sein. Ihre so provokante wie primitive Idee besteht im Nachbau des guten alten Schlosses – wobei man weder erfährt, was denn an ihrer Kopie der riesigen Kaiserkommode wirklich alt, noch, was genau gut an ihr wäre. Nur, daß sie hübscher dastünde als der Palast, kann anscheinend nicht oft genug gesagt werden, und da wurde auch schon erfolgreich Überzeugungsarbeit geleistet. Kunststück. Wohlkomponierte Perspektiven mit italienischem Hochbarock finden die meisten nunmal netter als einen einsamen, zerfledderten DDR-Bau aus den Siebzigern. So müde ist die Moderne, so vergessen das andere Deutschland? Die Diskussion ist inzwischen zum festen Bestandteil sowohl des Postmoderne- als auch des Ost-West-Diskurses geworden.

Foto: OFD Berlin, entnommen aus: Der Palast und seine Republik

In der Regel ist man sich nicht mal über das Thema einig: Die einen sprechen von Ästhetik, von der Trostlosigkeit des umgebenden Gebäudeensembles, das angeblich nach seinem alten Zentrum schreit. Andere von Symbolen, von der würdigen Staatsmitte, die einen zeitgemäßen gesellschaftspolitischen Anspruch zu repräsentieren hat. Und wieder andere sprechen von Geschichte und verweisen auf die leidvollen Erfahrungen, die diese Stadt im allgemeinen und dieser Ort im besonderen mit städtebaulicher Kraftmeierei gemacht hat. Auf dem nächsten Protzbau, meinen sie, wird der gleiche Fluch lasten wie auf dem Palast: Der unter Triumphgeheul besiegte, vernichtete, untergepflügte Vorgänger lebt als Erinnerung weiter und beschämt seinen Nachfolger, der ihn nicht ersetzen und nicht beerben kann.

Noch steht der Palast da wie ein Untoter, Mitte 2002 aber wird die Asbestsanierung beendet sein, und auch die von Bund und Land Anfang diesen Jahres einberufene Expertenkomission wird demnächst ihr Ergebnis vorstellen – voraussichtlich die Fassaden des Schlosses, das Innenleben eines Museums der Kulturen der Welt. Die Debatte aber wird damit nicht beendet sein, eher bekommt sie noch mal neuen Schwung. Man sollte sich auf eine weitere Runde vorbereiten.

Dieses Buch hat einen seltsamen Effekt: Nach dem tiefen Einblick in die Hintergründe hat man nicht mehr so richtig Lust auf die großen Lösungen, die nun allesamt vorschnell, gewaltsam, anmaßend wirken. Eher schweift die Phantasie zu vorläufigen Konzepten, zu fragmentarischen, prozeßhaften Ideen. Zum Beispiel die Udo Lindenbergs: Der wünscht sich „für die Jungen" in aller Unbefangenheit die „internationale Kulturbewegung" in den leeren Palast. Words of Wisdom! Asbestfrei, wie die Ruine demnächst ist, könnte man sie nicht eben mal aufmachen? Und dann einfach mal was passieren lassen?

Johannes Touché

Die architektonischen Vorschläge zum PdR und Umgebung sind am besten vor Ort zu begutachten: Die Ausstellung „Entwürfe für den Schloßplatz 1991-2001" im Staatsratsgebäude, Schloßplatz 1 in Mitte ist noch bis zum 8. Dezember zu sehen. Und ein schöner Ausblick!

Thomas Beutelschmidt und Julia M. Novak (Hg.): Der Palast und seine Republik. Ort – Architektur – Programm. Verlag Bauwesen, Berlin 2001. 99,75 DM

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