Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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BVG wird abgeschafft

Die Sanierung des öffentlichen Nahverkehrs könnte dessen Ende bedeuten

„Und die Fußgänger? Mit unverbesserlichen Neandertalern kann sich die neue Straße nicht abgeben. Wer ein Ziel hat, soll im Auto sitzen, und wer keines hat, ist ein Spaziergänger und gehört schleunigst in den nächsten Park. (aus einer Broschüre des Bausenats, 1957)"

Als 1989 in Westberlin erstmals ein rot-grüner Senat die Regierungsgeschäfte übernahm, weckte das große Erwartungen, besonders hinsichtlich einer neuen Verkehrspolitik. Tatsächlich war in der kurzen Zeit bis zum Mauerfall die Handschrift der damaligen Alternativen Liste nicht zu übersehen: Dem Vorrang des Autos in der Verkehrspolitik sollte ein Ende bereitet, Bus und Bahn eindeutig bevorzugt und damit möglichst viele Menschen zum Umstieg vom Auto zur BVG bewogen werden. Der neue Senat richtete Busspuren ein, um die BVG zu beschleunigen und nur Autos im Stau stehen zu sehen und begrenzte auf der Avus die Geschwindigkeit. Das Naheliegendste allerdings, eine drastische Senkung der Fahrpreise nämlich, wurde schon damals versäumt, obwohl einige westdeutsche Verkehrsbetriebe auch finanziell damit sehr gute Erfahrungen gemacht hatten.

Im heutigen rot-grünen Senat gibt offensichtlich die SPD die Linie vor und die soll wohl auf eine Weiterführung der Politik der Großen Koalition hinauslaufen. Der Regierende Bürgermeister Wowereit jedenfalls hat die 1998 von Landowsky und Böger angekündigte Fusion von BVG und S-Bahn GmbH wieder aus der Mottenkiste geholt und eine vorbereitende Projektgruppe ins Leben gerufen. Damals sollte eine gemeinsame Gesellschaft gegründet werden, je zur Hälfte Eigentum des Landes Berlin und der Deutschen Bahn AG. Unter unternehmerischer Führung der Deutschen Bahn AG waren jährliche Einsparungen von bis zu 600 Millionen Mark geplant. Das Ganze scheiterte am Einspruch der Europäischen Union ­ aus wettbewerbsrechtlichen Gründen. Der Markt soll auch auf diesem Gebiet seine sattsam bekannte, Segen bringende Wirkung entfalten dürfen.

Nun ist der Plan aber dennoch wieder auf dem Tisch und damit eine grundsätzliche Frage: Ist der öffentliche Nahverkehr eine Gemeinschaftsaufga-be oder darf man ihn guten Gewissens nach rein ökonomischen Gesichtspunkten organisieren? Das Staatsunternehmen Deutsche Bahn AG nämlich ist nicht deshalb in eine Aktiengesellschaft umgewandelt worden, weil das besser klingt, sondern um verkauft werden zu können. Die Fusion wäre also eine Teilprivatisierung, und der Berliner Senat gäbe sowohl die politische Verantwortung als auch die Kontrolle über den öffentlichen Nahverkehr ab ­ ganz gleich ob der zuständige Senator Strieder großmäulig tönt, die Landesregierung bestimme weiterhin wo und wie oft welche Züge fahren.

Beschwichtigungen seitens der SPD-Spitze, mit Einschränkungen des Verkehrsangebotes sei nicht zu rechnen, wirken fadenscheinig, denn die Sanierungskonzepte für die Deutsche Bahn entwickelt die Unternehmensberatungsgesellschaft McKinsey. Dieses weltweit operierende Unternehmen ist geradezu dafür berüchtigt, daß die von ihm beratenen Unternehmen anschließend kaum noch wiederzuerkennen und höchstens noch halb so groß sind. Die bisher bekannten Planungen, wie die komplette Streichung der Interregios oder eine weitere Halbierung der Belegschaft, führen den verkehrspolitischen Sprecher der PDS im Bundestag Wolf gar zu der Vermutung, Ziel des Bahnmanagements sei statt der Sanierung des Unternehmens seine Zerschlagung.

Foto: Mathias Königschulte

Wegen des Wahlkampfes sind die Sparvorschläge noch vage. Die behaupteten Einsparmöglichkeiten liegen inzwischen bei 800 Millionen Mark, nicht mehr bei 600, das macht sich gut in Zeiten von klaffenden Haushaltslöchern. Dafür sollen weitere 3000 Stellen abgebaut und die Löhne um 30 Prozent gesenkt werden. Man könnte fast hämisch werden bei der Vorstellung, daß all den feindseligen BVG-Mitarbeitern endlich der Laufpaß gegeben wird oder sie wenigstens für nur noch fünf Mark die Stunde ihre Bütteldienste leisten müssen. Leider nur dann, wenn man zu Hause einen Dukatenesel stehen und nicht ein ähnliches Lohnniveau für sich selbst zu befürchten hat. Bezüglich des Verkehrsangebots sind Änderungen geplant, das dürfte heißen: Streichungen.

Die Privatisierungspläne des Berliner öffentlichen Nahverkehrs sind jedoch noch nicht beschlossen. Sowohl PDS als auch Die Grünen sprechen sich dagegen aus. Mindestens von den Grünen als einstigen verkehrspolitischen Vorreitern darf man eigentlich mehr erwarten, als den Verweis auf einen durch Fusion von BVG und S-Bahn verhinderten Wettbewerb. Die Grünen treten ein für eine Trennung von Schienennetz, welches in Staatsbesitz bleiben soll und dem Angebot von Verkehrsdienstleistungen, wo der Wettbewerb alles richten soll ­ letztlich also ebenfalls für eine Zerschlagung der BVG. Vorbei die Zeiten, in denen eine neue Verkehrspolitik, die dem öffentlichen Nahverkehr Vorrang einräumt, über bloße Lippenbekenntnisse hinausging. Kein Wort mehr darüber, daß deutliche Fahrpreissenkungen nicht zu Einnahmeverlusten führen müssen. Auch vorbei sind leider die Zeiten, in denen der legendäre verkehrspolitische Sprecher des Schwarzen Blocks Reiser noch beherzt drohte: „Nee, nee, nee, eher brennt die BVG. Wir sind hier oben noch ganz dicht, der Spaß ist zu teuer von uns kriegt ihr nischt!". Das könnte sich ohnehin bald überholt haben.

Dirk Rudolph

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