Ausgabe 08 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Spielverderber

Es ist soweit. Die SED baut die Mauer wieder auf. Ja, eben diese Mauer, hinter der früher der Kommunismus anfing. Als ich Kind war, war alles, was ich vom Kommunismus jenseits des Todesstreifens jemals gesehen hatte, Wald ­ so weit das Auge reichte. Vielleicht war der Kommunismus eine Feen- und Gnomenwelt.

Später war der Kommunismus ein Wort, das die Welt in zwei Lager teilte. Nicht nur die hinter der Mauer, sondern auch unsere. Im klassischen Western hätte das eine Lager weiße Westen bekommen, das andere schwarze. Die Bösen auf unserer Seite waren die Kommunisten sowie alle anderen Verräter. Wobei letztere die bedeutendere Rolle spielten, denn die kleine Gemeinde Moskautreuer im Westen war eher marginal. Erfolgreiche Cowboys in schwarzer Montur wären auch Blixa Bargeld gewesen, Hans Magnus Enzensberger, Jutta Ditfurth, selbst Joschka Fischer mit seinen Turnschuhen. Mein Vater als großer Fan der westlichen Welt war in seinem Urteil ein guter Indikator. Erstaunlicherweise jedoch hingen die Vasallen des weißen Lagers jenen Skeptikern, die sie gleichsam der Ketzerei beschuldigten, förmlich an den Lippen und schienen sie hoch zu schätzen: die „kritische Intelligenz". Sie setzten die Themen, über die alle diskutierten: Aufrüstung, Umweltkollaps, Psychatrie, Armut, Kapitalismuskritik. Das weiße Lager schien förmlich nach Reizworten süchtig, um die Menschlichkeit der „sozialen Marktwirtschaft" rechtfertigen zu können. Daß es irgendetwas zu geben schien, das bei uns grundsätzlich nicht stimmte, gehörte fast zum common sense.

Bei allem Respekt vor den Grüblern und Kritikern mag eine gewisse Furcht mitgeschwungen haben. Die Welt war geteilt, und eine leichte Abweichung im fragilen Gleichgewicht der Kräfte hätte schnell alles durcheinander bringen können. Es war, als hätte man sich auf zwei Schalen einer riesigen Waage nur leidlich gut eingerichtet. Meist fühlte man sich auf sicherem Terrain. Nur manchmal konnte man spüren, daß der Boden leicht schwankte, wie auf See.

Mit dem Fall der Mauer gab es plötzlich nur noch einen Grund und Boden. Das ging so schnell, daß kaum einer das Ereignis so recht begriff. Nachdem jahrzehntelang alles in Frage gestanden hatte, sollte sich nun auf einen Schlag alles zurechtgerückt haben.

Das Wort „Kommunismus" verschwand aus dem gebräuchlichen Wortschatz ­ quasi über Nacht. Merkwürdigerweise schien gleichzeitig der „Kapitalismus" verschwunden zu sein. Zumindest das Wort fehlte. Ein beliebter Spruch, der sagte, der Kapitalismus
habe nicht gesiegt, er sei nur übrig geblieben, kommt der Sache nicht bei. Übrig geblieben ist etwas Namenloses. Zeitgleich geschah noch etwas anderes: die Ächtung der Kulturpessimisten und Fundamentalkritiker. Sie wurden von ihrem Sockel direkt an den Pranger gezerrt. Zeitgeistjournalisten rechnen seither gleichsam notorisch wie unerbittlich mit irgendeiner wütenden Generation vor ihnen ab, die stets unter den Sammelbegriff „68er" gefaßt wird. Die Abrechnungen scheinen jedoch nie bestimmten Leuten zu gelten, die für bestimmte Taten etwa im Jahr 68 verantwortlich gemacht werden sollen. Die Anklage betrifft im allgemeinen die Spielverderberei, das In-Zweifel-Ziehen der Grundlagen, das Stellen zu schwieriger Fragen. Daß dies vor und nach 68 geschah und mithin sogar im Osten, ist für die Zeitgeistschreiber völlige Nebensache. Die Vokabeln verbittert und moralinsauer wurden gefunden und avancierten zu den am meisten gefürchteten Stigmata. Verdächtig macht sich mittlerweile jeder, der den Anschein von Ernsthaftigkeit erweckt und öffentlich andere Themen als „ich" zur Sprache bringt. Die Formel, die nun Tür und Tor öffnet und ein versöhntes Lächeln garantiert ist: „Ich mein das doch nicht ernst". Nur so konnte es geschehen, daß Benjamin von Stuckrad-Barre ­ der sich kumpelhaft herumwitzelnd ausschließlich damit beschäftigt, wie er „rüberkommt" ­ FAZ-Redakteur werden konnte. Erfolgreiche Cowboys seit den neunziger Jahren: Harald Schmidt, Doktor Motte, die Popliteraten und immer noch Joschka Fischer ­ allerdings nun als oberster Inquisitor linker Mäkelei. Während der Spaß langsam etwas zwanghaftes bekommt, wachsen sich einige jener Themen, die vor der „Freude und Fortschritt-Wende" Publikumserfolge waren, weitgehend unbemerkt zu Problemen aus, deren Tragweite damals nur zu erahnen war. Der einzig übrige Kapitalismus hat seine Weichspülerprädikat „sozial" mittlerweile aufgegeben, die Armut an seiner „Peripherie" hat dramatische Ausmaße angenommen und ist uns gleichsam direkt vor die Haustür gerückt. Klimaveränderungen, die zur Zeit der großen Debatten noch als möglicherweise natürlich bedingt eingeschätzt wurden, sind es heute erwiesenermaßen nicht mehr. Vielleicht ist das Spaßdiktat eine gesellschaftliche Verdrängungsleistung. Denn ­ aprospos Psychatriedebatte ­ erfreuen sich die psychatrischen Abteilungen der Krankenhäuser immer größerer Beliebtheit, vor allem bei jungen Leuten.

Sollte man sich am Ende ­ um der Rettung der Kritik willen ­ die gute alte Mauer zurückwünschen? Die Zeichen der Zeit haben zwei junge Berliner Parteien erkannt und sich zur SED vereinigt. Ausgerechnet die beiden Spaßparteien Friedrichshainer FAZ und Kreuzberger KPD/RZ. Die SED baut nun die Mauer wieder auf. Allerdings nicht diese Mauer, sondern „eine Mauer" ­ und nicht quer sondern längs, damit sie niemandem im Weg steht.

Tina Veihelmann

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