Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
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Wenig Lust auf Wahlkampf

Interview mit dem Bezirksbürgermeister Joachim Zeller (CDU)

Ihm macht sein Job sichtlich Spaß: Der Bezirksbürgermeister von Mitte, Joachim Zeller (CDU), hat zwar keine 38,5 Stunden-Woche, dafür aber jede Menge Verantwortung. Die wurde ihm Ende letzten Jahres von einem ungewöhnlichen Wahlbündnis aus CDU, Grünen und PDS übertragen. Zuvor war er Bezirksbürgermeister von Alt-Mitte, damals mit den Stimmen der CDU, SPD und Grünen. Doch mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus stehen auch Neuwahlen in den Bezirken an. Dann werden die Karten neu gemischt. Vielleicht finden sich ja wieder ungewöhnliche Bündnisse. Joachim Zeller, von Beruf Diplom-Sprachmittler und Slawist, ist stellvertretender Landesvorsitzender der CDU.OB Zeller

Wie würden Sie ein halbes Jahr nach der Bezirksfusion den neuen Bezirk Mitte charakterisieren?

Sehr heterogen: Da kommen unterschiedliche Kulturen zueinander. Das Themenspektrum geht jetzt weit über das der jeweiligen Altbezirke hinaus. Beispielsweise betrafen in Alt-Mitte rund 70% der Anfragen in der BVV den Baubereich. Nun hat der Sozialbereich ein großes Gewicht bekommen, aber auch Themen wie Schule oder Arbeitsmarktförderung. Das ist auch kein Wunder, wenn man die Statistik betrachtet: Alt-Mitte hat 12% Arbeitslosigkeit, das ist natürlich immer noch viel zu viel. Aber in anderen Quartieren sind die Sozialdaten weitaus drastischer. Der neue Bezirk belegt im Sozialindex den letzten Platz unter den zwölf Bezirken ­ der mit dem Kanzleramt, dem Bundestag und der Friedrichstraße.

Was sind die konkreten Arbeitsschwerpunkte im Bezirk?

Zunächst sind wir mitten in der Neuorganisation der Verwaltung: Die Umzüge finden statt, die technischen Voraussetzungen müssen teilweise neu geschaffen werden, zum Beispiel die Telefonanlage ­ da müssen wir derzeit immer noch mit den drei Einwahlnummern der Alt-Bezirke operieren. Die Stellenbesetzungen im Rahmen der Neuorganisation der Ämter sind noch nicht abgeschlossen. Das alles wird noch über das Jahr hinaus dauern. Bis die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter eine gemeinsame Identität gefunden haben, kann es noch länger dauern.

Gibt es in der Verwaltung unterschiedliche Mentalitäten?

Es gibt sicherlich Unterschiede. Aber das ist auch eine Chance, von jedem das Beste zu nehmen. Vielleicht haben die Mitarbeiter aus Mitte eher gelernt, mit Umbrüchen zu leben. Nicht nur 1990/91, sondern auch später mit dem Einstellen auf neue Verwaltungsabläufe. Sie haben so etwas schon erlebt und sehen das jetzt vielleicht etwas entspannter als die Mitarbeiter aus den ehemaligen Bezirksämtern Wedding und Tiergarten.

In der letzten Zeit war von finanziellen Altlasten zu lesen, die Wedding dem neuen Bezirk überraschend mitgebracht hat ...

Ich würde nicht von Altlasten sprechen. Es liegen jetzt Vorgänge auf dem Tisch, die einer Prüfung bedürfen und aus denen möglicherweise finanzielle Belastungen auf den Bezirk zukommen. Deshalb müssen wir die Dinge aufarbeiten. Nicht, um in der Vergangenheit des Wedding zu kramen, sondern um zu wissen, was uns noch bevorsteht.

Lassen sich die Konsequenzen für den Haushalt schon beziffern?

Bei dem rückabgewickelten Verkauf des ehemaligen Hertha-Grundstücks in der Jülicher-/Behmstraße gibt es einen Vorlauf bis 1987. Der ist, um es vorsichtig ausdrücken, sehr unglücklich verlaufen. Allein für die Baustellensicherung muß der Bezirk jetzt sehr viel Geld aufwenden. Und weil dort bereits Gelder aus der Grundschuld in Anspruch genommen wurden, stehen auch noch Zinszahlungen an. Insgesamt könnten uns sechsstellige Beträge ins Haus stehen.

Das alte Bezirksamt Wedding hat aber noch kurz vor seiner Auflösung beschlossen, die verantwortlichen Stadträte von einer etwaigen Haftung freizustellen.

Die Vorgänge werden gerade neu aufgearbeitet. Sollten sich hier tatsächlich dienstrechtliche Verfehlungen ergeben, muß das Bezirksamt natürlich handeln und möglicherweise frühere Beschlüsse korrigieren. Aber so weit sind wir noch nicht.

Wie wirkt sich die finanzielle Situation Berlins auf die Bezirke aus?

Da haben wir noch keine Erkenntnisse. Der alte Senat hat noch vermeldet, daß die Bezirke durch die Rettung der Bankgesellschaft nicht belastet werden sollen, weil die bezirklichen Budgets so heruntergefahren sind, daß keine weiteren Kürzungen mehr möglich sind. Ich hoffe, das bleibt so.

Jetzt steht mit der Wahl zum Abgeordnetenhaus im Herbst auch die Neuwahl im Bezirk an. Gibt es im Bezirksamt große Lust auf den Wahlkampf?

So richtig nicht, nein. Wir haben ja erst seit Januar unsere Ernennungsurkunden und dachten, jetzt haben wir viereinhalb Jahre Zeit zum Arbeiten. Die Gremienbildung hat begonnen. Zum Beispiel haben sich gerade Frauen- und Behindertenbeirat konstituiert, der Ausländerbeirat wird konzipiert. Ich hoffe, das neue Bezirksamt und die BVV sind so vernünftig, das Erreichte auch zu belassen. Im Bezirksamtskollegium sind wir übereingekommen, uns in der täglichen Arbeit vom Wahlkampf nicht allzu sehr beeinflussen zu lassen. Daß jeder politisch tätig ist und in seiner Partei Wahlkampf macht, ist klar. Wenn es zu einer Neubildung des Bezirksamts kommt, wird es wahrscheinlich wieder eine Neuordnung der Ressorts geben. Ich hoffe nur, daß das nicht nochmals allzu stark in die neue Ämterstruktur eingreift. Es scheint, daß der Kollege Hans Nisblé nach der Wahl nicht mehr zur Verfügung steht.

In Ostberlin hat es 1990 eine eigenständige Bezirkswahl gegeben. Wäre es nicht möglich, diesmal nur das Abgeordnetenhaus zu wählen und die Bezirkswahl zu verschieben?

Berlin ist eine Einheitsgemeinde und die Verfassung gebietet, daß die Wahl in den Bezirken gemeinsam mit der für das Abgeordnetenhaus stattfindet. 1990 war eine Ausnahmesituation. Vielleicht wäre das auch jetzt möglich gewesen. Aber die Parteien sind sich nicht einig, so kann man das Thema jetzt abhaken. Sollte aber die Verfassung geändert und die Bezirkswahlen von den Landtagswahlen abgekoppelt werden, müßte noch einmal grundsätzlich über die rechtliche Stellung der Bezirke nachgedacht werden. Bestimmte Parteien in der Opposition sprachen sich schon früher dafür aus. Wenn sie an die Regierung kommen, ändern sich allerdings oft die Meinungen. Sollte die Fu-sion mit Brandenburg jedoch weiterhin eine Option sein, was ich sehr hoffe, muß noch einmal neu nachgedacht werden.

Wo hätten Sie gerne mehr Macht für die Bezirke?

Ich hätte beispielsweise gern mehr Planungssicherheit bei den Finanzen, so daß nicht mitten im Jahr von Seiten des Senates in den Budgets herumgefummelt werden kann. Das hemmt stark. Auch sollten die Bezirke direkt an bestimmten Steueraufkommen beteiligt werden, um Anreize zu schaffen, das Steueraufkommen insgesamt zu erhöhen. Wir haben ja gesehen, was die Bezirke plötzlich für Anstrengungen unternommen haben, als sie ihre Grundstücke selbst vermarkten durften und ein Teil des Verkaufserlöses in den Bezirkshaushalt floß. Da ging das plötzlich munter los ­ die Bezirke haben das Soll bei den Grundstücksverkäufen immer übererfüllt. Der Weg, mehr Eigenverantwortung in die Bezirke zu legen, muß weitergegangen werden.

Interview: Ulrike Steglich, Christof Schaffelder

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