Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Nach Braunschweig?

Bericht von der Durchquerung Niedersachsens. Der Zug steht in Holzminden. Es gibt keinen Zug von Altenbeken nach Braunschweig. Es gibt nur einen Zug von Altenbeken nach Holzminden, mit Halt in Brakel und Godelheim. Und einen von Holzminden nach Braunschweig, mit Halt in Kreiensen und Seesen. Samstagabend, der Zug steht in Holzminden. Das Zugpersonal ist gegangen. Das Bahnhofsschild wirft einen langen Schatten. Der Zug muß stehen. Muß reifen auf Gleis 2. Muß sich verwandeln von Regionalbahn 73673 in Regionalbahn 34367, bevor er weiterfahren kann. Verwandelt er sich ganz allmählich? Verwandelt er sich ganz abrupt? Eine Frau mit Stoffbeutel steigt ein, IST DAS DER ZUG NACH BRAUNSCHWEIG?, wirft sich in die Sitzreihe, beginnt hektisch zu häkeln. Der Zug, der von Altenbeken nach Holzminden fährt: Ist er, wenn er in Holzminden eintrifft, noch der Zug, der von Altenbeken nach Holzminden fuhr? Ist er schon der Zug, der von Holzminden nach Braunschweig fahren wird? Samstagabend. Ein Hund geht vorbei, hinkend, blickt zum Waggonfenster hoch, stumm. Der Zug steht eine halbe Stunde. Das Zugpersonal kommt. Eine halbe Stunde, die einen ganzen Zug verwandelt. Genug Zeit, sich mal wieder so richtig Gedanken zu machen.

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Versuch, den britischen Witz zu verstehen. Der Brite hat's ja auch nicht leicht. Weltreich futsch, wie Fußball geht, hat er vergessen, und wenn demnächst wattkostdiewelt in allen andern Ländern die Euromünzlein quietschemunter springen von Portemonnaie zu Portemonnaie, dann schleppt der arme Britt mutherfuckingseelenallein sein Pfund („Päckchen") durch dunkelrote Backsteinhäuschengäßchen, um es im nächsten Liquor-Store auf den Tresen zu wuchten. Und gegen Gin zu tauschen. Iiiieeeh!

Des Briten Witz wurde ob dieser mannigfachen Kränkungen immer eigener und gleichsam existenzieller. Manchmal erreichen Berichte davon den Kontinent. Zum Beispiel von dem Arzt, der im Lauf der Jahre ein paar Hundert seiner Patienten ins Reich der ewigen Schmerzfreiheit befördert haben soll. Unter „Vermischtes" wird seine Festnahme gemeldet, und vor der Nachricht steht wie selbstverständlich der Name des Städtchens, in welchem der Doktor zu praktizieren beliebte: „Todmorden".

War es mangelnde Fremdsprachenkenntnis? War es der unbewußte Wunsch, entdeckt zu werden? Kann man solche Ortswahl „sardonisch" nennen? Diskutiert darüber mit eurem Nebensitzer!

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He, Trittin! Subito Dosenpfand! Weil dann in der Samstagnacht keiner von diesen Amateurtrinkern und Sonntagssäufern, die die Kneipen und die Gehwege verstopfen, auf die „brillante" Idee kommt, seine allenfalls angenippte Bierbüchse auf die Bordsteinkante zu stellen und einfach weiterzugehen, jede Verantwortung leugnend für die Nachkommenden, von denen er doch diesen Gehweg nur geborgt hat und ohne einen Gedanken darauf zu verschwenden, daß Blechdosen auf Bordsteinkanten bei folgenden Passanten, jung gebliebenen Männern allzumal, unweigerlich den adoleszenten Kickreflex auslösen. Das designierte Spiel-triebopfer merkt es im Moment, in dem, nach kurzem Anlauf, der Innenrist das Blech knapp über dem Asphalt berührt: „Hinter diesem Blech ist keine Luft. Hinter diesem Blech ist – Bier." Sodann, die Dose am Fuß, verspürt der Übermütige die schon nicht mehr überraschende Schwere des Gegenstandes, und noch während er, die bevorstehende Sauerei im Geiste vorwegnehmend, nach einer Deckung sucht, tut der teuflische Mix aus Fliehkraft und Kohlensäure sein zerstörerisches Werk.

Auch wenn die sogenannten „Freunde", die einen begleiten, den Abend nun als „doch noch gerettet" bezeichnen: fünf Mark Pfand auf einen Liter Dosenbier! Mindestens.

Bov Bjerg

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