Ausgabe 07 - 2001 berliner stadtzeitung
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Was symbolisiert eine Tiefgarage?

Zarte Argumente: Der Streit um die (Un)sichtbarkeit von Autos und Mahnmahlen

„Kunst ist gut, wenn man an ihr vorbeigehen kann, ohne daß man sie sehen muß." Jochen Gerz, von dem diese Maxime stammt, ist ihr mit seinen Holocaust-Mahnmalen auf exemplarische Weise gerecht geworden; mit seiner nach und nach im Boden verschwindenden Stele in Harburg und mit den Pflastersteinen auf dem Saarbrücker Schloßplatz, auf deren Rückseite die Namen von verschwundenen jüdischen Friedhöfen eingraviert sind. Von Kunstkritikern gefeiert, sind diese „counter-monuments" (James E. Young), diese Anti-Mahnmale doch von schlagender Wirkungslosigkeit: Wer die Feuilletondebatten um ihre Entstehung nicht verfolgt hat, der bemerkt sie gar nicht. Sollte das den auftraggebenden Stadtoberen am Ende zupaß kommen?

Das Denkmal auf dem, besser: unter dem Bebelplatz, das an die 1933 an diesem Ort von Studenten der Friedrich-Wilhelms-Universität inszenierte Bücherverbrennung erinnern soll, drängt sich dem Betrachter auch nicht auf. Es sei so konzipiert, daß man es nicht sehen müsse, beschreibt der israelische Künstler Micha Ullman seine Intentionen. Die Kehrseite: Das Denkmal ist auf diese Weise umstandslos kompatibel mit dem von Senatsbaudirektor Stimmann und Konsorten phantasierten Forum Fridericianum – Etappenziel auf dem Weg zum Wiederaufbau des Schlosses. Der Platz bleibt (beinahe) unangetastet. Wer ihn aber aufmerksam überquert, der entdeckt die Glasplatten, durch die man in einen leeren, unzugänglichen Bibliotheksraum blicken kann. Überzeugend wie kaum ein anderes Denkmal verbindet die Formensprache einer avancierten Minimal Art sich mit größtmöglicher Anschaulichkeit. Akademie-Präsident György Konrád sieht darin gar das „wahre Holocaust-Mahnmal" (Berliner Zeitung, 22.6.01) So weit muß man indes gar nicht gehen, den Fehler der Wiener machen, deren Holocaust-Mahnmal, sich ebenfalls der Bibliotheksmetaphorik bedienend, den Judenmord zum Kulturverlust bagatellisiert. Konrád schreibt aber auch: „Es kann passieren, daß sich totes Material im Lauf der Jahre mit sakralem Inhalt füllt." James E. Young, Experte für Gedächtniskultur drückt es so aus: „Einmal geschaffen, führen Denkmäler ein Eigenleben, das sich den staatlichen Intentionen gegenüber oft hartnäckig als resistent erweist."

Micha Ullman läßt den Bebelplatz ­ auch zur Freude der Preußen-Fans ­ an seiner Oberfläche leer und unberührt, raumgreifend ist seine Arbeit lediglich unterhalb des Straßenniveaus. Just dort soll ihm jetzt zu Leibe gerückt werden. Denn (mehr oder weniger) unsichtbar sind heute nicht nur Denkmäler, die sich ästhetisch auf der Höhe der Zeit bewegen, unsichtbar sollen auch die in der Nähe der Staatsoper angeblich dringend benötigten Parkplätze gehalten werden. Lange schon laufen die Planungen für eine Tiefgarage unterhalb des Bebelplatzes, buchstäblich fünf Minuten vor zwölf wurde nun die Öffentlichkeit darauf aufmerksam, formiert sich Protest. Federführend dabei sind die Studenten der Juristischen Fakultät, die, in der „Kommode" untergebracht, das Denkmal direkt vor ihrer Haustüre haben. Man hat ein „Aktionsbündnis Bebelplatz" gegründet und bereits zwei Podiumsdiskussionen ­ zuletzt am 21. Juni ­ ausgerichtet, um die Öffentlichkeit zu informieren. Aufgewacht ist jetzt auch die Politik: Die Bezirksstadträtin für Stadtentwicklung Dorothee Dubrau ruft zu Spenden auf, um im Falle eines Baustops die Regreßforderungen des Investors begleichen zu können.

Bei der Podiumsdiskussion am 21. Juni, an der auch Micha Ullman teilnahm, wurde vor allem ein diffuses Unbehagen deutlich, sich das unterirdische Denkmal umgeben von einer Tiefgarage vorzustellen. Selbst wenn das Denkmal selbst, wie Hans Stimmann versicherte, unangetastet bliebe und jeder Bebelplatz-Pflasterstein am Ende wieder an seinen Ort zurückkehrte, wäre doch nichts mehr wie vorher. Das bloße Wissen um das unterirdische Parkhaus veränderte die Wahrnehmung. Zudem soll der Platz von vier Fußgängerabgängen verunstaltet werden. Der schlechtgelaunte Senatsbaudirektor mochte die Bedenken der versammelten (Kunst)historiker nicht teilen, reklamierte kaltschnäutzig den Autoverkehr als Bestandteil von Urbanität. Außerdem müsse man Gedenkorte wie diesen „in den Alltag zurückholen". Am Ende formulierte er aber immerhin die richtige Frage: Wo endet die Aura dieses Kunstwerks?

Micha Ullman sprach von seiner Intention, einen „Ort der Stille" zu schaffen, der weithin ausstrahlen möge, am besten auf den gesamten Globus ­ schöne Utopie. Jan Dinter vom Aktionsbündnis meinte, daß doch zumindest die (auch unterirdische) Leere des Platzes für die Aussage des Denkmals wichtig sei; mit Ausnahme Stimmanns bestritt das niemand. Dieter Hoffmann-Axthelm, nie um ein krudes Theorem verlegen, beantwortete schließlich Ullmans rhetorische Frage, was denn eine Tiefgarage symbolisiere: Das Autofahren als „Medium des Vergessens" stehe der Erinnerungsarbeit entgegen. Reizvoll wäre es allenfalls gewesen, das Mahnmal in eine bestehende Garage hineinzubauen ...

Ob die „subtilen, zarten Argumente" (Hoffmann-Axthelm), die auf dem Podium in der Humboldt-Universität ausgetauscht wurden, eine Chance haben, ist sehr fraglich, ein fauler Kompromiß, der den Abstand zwischen den Autos und dem Denkmal verringerte, womöglich in greifbarer Nähe. Ullman hat von seiner ursprünglichen radikalen Drohung, sein Werk gegebenenfalls zu zerstören, Abstand genommen. Ob er sich von den Stadtoberen über den Tisch ziehen läßt?

György Konrád schreibt: „Vergebens versuche ich, die Garage zu vergessen, sie aus meinem Bewußtsein zu verscheuchen, die Vorstellung davon drängt sich mir immer wieder auf."

Florian Neuner

Das Aktionsbündnis Bebelplatz im Internet: www.bebelplatz-berlin.de, Tel.: 0179/6690775 (Jan Dinter)

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