Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Fast wie ein General

Die Mitte verändert sich mal nicht baulich

Die Neue Mitte hält immer wieder Überraschungen und Entdeckungen bereit. Nicht Neubauten oder die scheinbar endlosen Sanierungen der alten Bausubstanz fallen mehr ins Auge oder ins kritische Bewußtsein. Auch nicht die unzähligen Touristen, die hastenden Berliner oder die ach so geschäftigen Jungunternehmer in den Straßencafés. Es wurde ohnehin schon viel zu viel darüber berichtet, so daß es scheint, als gehören derartige Wandlungen einfach ins Stadtbild.

Sie gehören dazu, aber mit welcher Selbstverständlichkeit?

Im Gedächtnis die Reden vom Neuen Berlin und der Rückkehr zu Traditionen fällt in der Oranienburger Straße, unweit des Hackeschen Marktes, eine grau-rot uniformierte Gestalt auf ­ der Portier des vor sieben Monaten neu eröffneten türkischen Restaurants „Hasir". Als Gastarbeiter der ersten Generation lebt er seit 1969 in Berlin. Nach etlichen Arbeitsjahren und über zahlreiche Familienbande wurde er Portier und Kartenverteiler für Speise- und Visitenkarten im „Hasir". Er steht im Durchgang eines nobel restaurierten Hauses, in dessen Hof besagtes Restaurant liegt. Die versteckte Lage macht es offenbar nötig, in ganz besonderer Form zu werben. Vor dem Hotel „Adlon" und in anderen großen Häusern der Stadt ist es ja ohnehin schon üblich. Dennoch hat dieser Portier noch keinen anderen seiner Art gesehen. Man ist wer, man zeigt es, man nutzt in einer Zeit, in der schon die Mode so uniform daherkommt, das Mittel Uniform, um Aufmerksamkeit zu erregen. Und es klappt. Der Portier berichtet, wie die Touristen und Passanten sich nach „dieser schönen Uniform" umsehen, ihn befragen, sich Karten und Auskunft zum Restaurant geben lassen und manchmal auch zum Essen kommen. Die Uniform macht Eindruck. Sie ist allerdings weder entlehnt noch historisch, sondern wurde eigens vor fünf Monaten in Istanbul genäht. „Und am Interessantesten ist, wenn sich die Frauen oder Männer oder ganze Touristengruppen mit mir zusammen fotografieren lassen. Das ist sehr gut, das ist hübsch und schick." Das ist doch was. Und sicher auch notwendig, denn sieben Monate sind für ein Restaurant noch keine lange Zeit, und nur mit Hilfe der Gäste läßt sich überleben. Genau aus diesem Grund steht er ja zunächst einmal für ein Jahr an diesem Ort. Und so unbekannt ist das „Hasir" nicht mehr, denn neben ganz gewöhnlichen Gästen kehrten auch schon der türkische Außenminister ebenso wie der reichste Mann der Türkei mit fünfzig Personen hier ein. Das Essen muß also gut sein. Oder die Bekanntschaften?

Das Restaurant, in dem er sich fühlt, als sei es sein eigenes, erhebt nicht Anspruch auf Wiederbelebung von Traditionen. Und tut es doch: die Uniform verrät es. Ebenso sein Gefühl, das der Portier lachend kundtut: „Ich fühle mich nicht wie ein General, aber im Hintergedanken fühle ich mich doch wie ein General." Wenn die Gäste wieder gehen, sagen sie oft, daß „alles sehr gut und wunderbar" war. „Also: kommen Sie wieder?!"

Claudia Küster

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  Ausgabe 06 - 2001
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