Ausgabe 06 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Der Osten ist Schuld!

Eduard Zimmermann selig hätte seine helle Freude an der sogenannten Berliner Bankenkrise gehabt. In seiner Haltet-den-Dieb-Sendung wäre die ganze Geschichte als Spielfall etwa so aufbereitet worden: Die arglose und fleißige Hausfrau und Mutter Barbara Billig geht in eine Bankfiliale und bittet um einen Kredit, weil sie die Miete für ihre Wohnung nicht mehr bezahlen kann oder es leid ist, ihr Kind nicht auf Klassenfahrt gehen lassen zu können. Der dämonische Bankier Friedhelm Furchtbar verhöhnt sie jedoch, weil sie keine Sicherheiten hat. Im Hintergrund sieht man zwei Herren in italienischen Anzügen, die Sonnenbrillen tragen und fleißig Geldbündel in Schrankkoffern stapeln, die sie dann in überlange Limousinen schleppen. Am Ende werden die braven Bürger aufgefordert, hinter die Gardine im Wohnzimmer zu treten und Ausschau nach den finsteren Gesellen zu halten. Tausende Anrufe gehen ein. Aber kein einziger Hinweis.

Im Bankgeschäft sehen die Verbrecher nämlich nicht aus wie billige Kopien neapolitanischer Pizzabäcker, im Bankgeschäft sprechen sie mit ostpreußischem Akzent oder halten Re-gierungserklärungen. Letzteres zugegebener Maßen mit zitternden Händen. Schließlich war es der 31. Mai. Am 31. Mai ist alles vorbei. Leider nicht.

Die Führungsetage der Bankgesellschaft Berlin hat über ihre diversen Töchter Kredite an alte Kumpel ausgegeben, die mit dem geborgten Geld DDR-Plattenbausiedlungen kauften, in der Hoffnung, sie nach Renovierung teuer weiterverkaufen zu können. In den Augen gelernter Ostdeutscher (und aufrichtiger Bankprüfer) – die wissen, worum es sich bei Plattenbauten handelt – an sich schon ein ziemlich schräges Geschäft, aber sei's drum. Wo steht, daß Spekulanten nur mit schönen Gründerzeithäusern spielen dürfen? Dann platzte die Geschäftsidee. Damit war die Bankgesellschaft um viele Häuser reicher aber um zwei Milliarden Euro ärmer. Das ist kein Widerspruch: Häuser kann man schließlich nicht in Schrankkoffer packen und auf die Cayman-Inseln mitnehmen. Nun ist es aber so, daß die Bankgesellschaft Berlin uns allen gehört, also eigentlich VEB Bankgesellschaft Berlin heißen müßte. Wir alle müssen also das fehlende Geld aufbringen, damit, wer ein Konto bei der Berliner Sparkasse hat, auch morgen noch Geld abheben kann.

Nun haben sich jedoch die Verwalter unseres Eigentums, vulgo Senat von Berlin, in unserem Namen ermächtigt, acht Milliarden Deutsche Mark neue Schulden zu machen. Warum? Mit der offensichtlichen Differenz, heißt es, müssen Steuer- und Gewinnausfälle der Bankgesellschaft abgedeckt werden. Soweit ist die Sache übersichtlich: Wie jeder andere betreiben auch wir Berlinerinnen und Berliner ein Unternehmen zu dem Zweck, von seinen Gewinnen leben zu können. Zusätzlich müssen Rückstellungen gemacht und Bilanzen berichtigt werden, damit die Bankenaufsicht den Laden nicht schließt.

In Nebensätzen wird jedoch offenbart, man brauche das Geld außerdem, um den VEB Bankgesellschaft für einen Verkauf „wieder" fit zu machen. Das bedeutet nichts anderes, als daß der Senat eine Milchkuh, die nach eigener Aussage jährlich über 150 Millionen Mark in die Landeskassen spült, verschleudern will. Kommt sich immer noch keiner verarscht vor?

Die Berliner Bankenkrise wird jeder am eigenen Leib zu spüren bekommen. Schon heute erhalten die Bezirke der Stadt von jeder benötigten Mark nur 38 Pfennige. In den vergangenen Jahren begründete man dies damit, daß Schuldenlast anfallende Zinsen (mehr als ein Drittel des Haushaltes) abgebaut werden müßten. Was aber in zehn Jahren gespart wurde, kommt jetzt mit einem Hieb wieder dazu. Schon in der Diskussion um den Nachtragshaushalt war die Idee aufgekommen, die Mittel für aktive Arbeitsmarktpolitik zu kürzen. Im Klartext: Berlin will am gesetzlich vorgeschriebenen finanziellen Eigen-anteil sparen, wobei man aber wissen muß, daß für jede eigene Mark sieben Mark fünfzig aus Bundes- und EU-Mitteln in die Stadt kommt – auf die man dann zwangsläufig verzichten muß. Klasse Idee also.

Bleibt noch die Frage zu klären, wer wirklich Schuld am ganzen Debakel ist. Die Antwort, in allem Ernst gegeben vom neuen CDU-Fraktionsvorsitzenden in der Abgeordnetenhausdebatte, ist mindestens originell: Nicht Vetternwirtschaft, nicht persönliche Geldgier stehen am Beginn des Desasters, sondern die hinterhältige DDR-Diktatur,die Häuser errichtet hatte, die später arglose westdeutsche Wohnungswirtschaftler in die Falle locken mußten.

Wolfram Kempe

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