Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Platten, Passanten

Eine Klangsituation

Hans Scharoun hatte bei der Planung des heutigen Kulturforums von einer Kulturlandschaft gesprochen. Mittlerweile ist sie zur Peripherie des Potsdamer Platzes geworden. transition nennt nun der Komponist Georg Klein seine interaktive Klanginstallation vor dem Eingang der Philharmonie ­ ein Interview.

Die meisten Passanten, ob Philharmoniebesucher, Touristen oder Spaziergänger aus dem Tiergarten, gingen bisher an den beiden fast senkrecht stehenden Stahlplatten von Richard Serra vorbei, ohne den Zwischenraum zu
betreten. Nun gibt es ja keinerlei Hinweise direkt am Ort, dass hier eine Klanginstallation vorgenommen wurde, oder, wie Sie sagen: dass eine Klangsituation besteht.

Ja, denn der wichtigste Punkt dieser Arbeit ist für mich zunächst einmal der Prozeß der Wahrnehmung selbst. Egal ob den Passanten der Ort schon bekannt ist oder nicht: Dass an diesem Ort eine Veränderung stattgefunden hat bzw. dieser Ort überhaupt als eine durchgearbeitete, akustische Situation zu erfahren ist, muss erst mal wahrgenommen werden. In weiterer Entfernung zu der Skulptur ist das nur sehr aufmerksamen Ohren möglich. Im Vorbeigehen an der Skulptur tritt auch bei ungeübten Ohren eine Irritation auf. Sie hören zwar etwas, aber sie sehen keine Klangquelle. Dieses erste Irritationsmoment ist sehr wichtig. Viele berühren dann zunächst die Stahlplatten prüfend mit der Hand

Im Foyer der Philharmonie gibt es doch so etwas wie einen Informationsstand.

Dort allerdings schon wieder akustisch isoliert und nur mit Sichtkontakt zur Skulptur. Sie beÞnden sich ja in einer Alltagssituation, die nichts mit einer vorbereiteten Konzertsituation zu tun hat, in der man sich auf Ort, Zeit und mit Konzentration einstellt.

Es bleibt also den Passanten überlassen, ob sie ihrer Irritation nachgehen wollen oder nicht?

Genau, und dieses Nachgehen, wenn Sie so wollen: das Spitzen der Ohren ­ es gibt ja viele Verkehrsgeräusche dort ­ Þndet seine Fortsetzung in der Skulptur: Auch innerhalb des Klangs kann über die Sensoren bzw. über Körperbewegungen, die von Sensoren empfangen werden, weiter in andere Klangbereiche, in die Texte und die Veränderungsmöglichkeiten eingestiegen werden. Je nachdem, wie neugierig die Besucher sind, Þnden sie das heraus. Die Sensorsteuerung bleibt aber uneindeutig. Die Wirkung der Sensoren lässt sich nicht durch beliebige Wiederholung erfassen. Sie ist damit auch nicht so leicht zu bemerken, und so besitzt der Klang in seiner Entwicklung auch sein Eigenleben.

Sein Eigenleben ?

Es ist natürlich eine Maschine, ein Musikautomat. Aber auch ein Instrument. Geht niemand durch dieses Instrument hindurch, verändert sich auch nichts an dem stets weiterlaufenden Basisklang. Eine Veränderung der Klangsituation ist also ohne die Bewegung der Hörer nicht möglich, abgesehen von den Sonnenlichtveränderungen, auf die die Lichtsensoren natürlich auch reagieren. Die Hörer sind dann zwar noch keine Musiker ­ obwohl das bei intensiver Beschäftigung mit den Sensoren möglich wäre ­, aber sie sind aktivierte Hörer, keine passiven Konsumenten. Und wie jedes Instrument hat es seine
eigene, klangliche Charakteristik, seine Möglichkeiten und Grenzen ­ und sein Eigenleben.

„Jeder Hörer verändert, was er hört", setzen Sie an den Schluß Ihres kurzen Einführungstextes in Ihrem Kommentarbuch, das in der Philharmonie ausliegt. Diese Beschreibung erinnert an eine physikalische Versuchsanordung, deren Problem es ist, dass der Beobachter nicht neutral sein kann, sondern immer schon Teil des zu Beobachtenden ist.

Hm. In meiner Arbeit gibt es jedenfalls keinen musikalischen Ablauf, dem ich einfach nur zuhören könnte, weil ich mit meinem Zuhören ­ durch meine körperliche Präsenz im Klang ­ immer schon etwas an diesem Klanggeschehen verändere. Aber auch in einer passiven Hörsituation kann es ein aktives Zuhören geben.

Aber es ist doch etwas anderes, ob ein Publikum die Stimmung, vielleicht eine gewisse Intensität, beeinþußt oder ob ich als einzelner Hörer einen Klang verändere.

Sicher. Der Aspekt der aktiven Veränderung ist elementar für das Konzept von transition.

... übersetzt Durchgang, Übergang ...

... ja, transition nimmt zunächst die
räumlich-skulpturale Situation des Durchgangs zwischen den beiden Stahlplatten auf ­ und wendet sie ins Zeitliche, im Sinne eines permanenten, musikalischen Übergangs von einem Klang in einen anderen. Musik ist ja von je her die Kunst des Durch- und Übergangs par excellence. Jeder Ton ist für sich schon ein þüchtiges Gebilde, er besitzt nichts Bleibendes, außer in unserer Erinnerung. In meiner Arbeit wird dies eigens zum Thema, es bestimmt die musikalische Ausführung bzw. die musikalische Form in ihrer Grob- wie in ihrer Feinstruktur.

Das Transitorische, der Durchgang kennzeichnet aber nicht nur die Hörsituation zwischen den beiden Stahlplatten. Auch die Umgebung, am Rande des Kulturforums und des Potsdamer Platzes. Dieser verloren wirkende Platz scheint mir kein Ort, an dem man sich niederließe. Er ist ja ganz und gar vom Durchgangsverkehr der Autofahrer, Radfahrer und Fußgänger bestimmt.

Und abends kommen die Besucher der Philharmonie hier vorbei und verschwinden rasch nach den Konzerten in den wartenden Bussen und Taxen, wenn sie nicht mit dem eigenen Auto gekommen sind. Ein permanenter Durchgang, der nun eine andere Bewegung mit sich bringt, nämlich den Klang sowohl kurzfristig als auch langfristig zu verändern. Anderenfalls würde ein sechsmonatiger Lauf dieser Klangarbeit auch keinen Sinn machen.

Um diese langfristigen Klangveränderungen mitzubekommen, müssten die Besucher also mehrmals in diesen sechs Monaten kommen ?

Ja.

E Das Interview ist dem Katalog „transition" entnommen, der zur
Midissage am 12.5.2001 erschienen ist. Er ist an der Kasse der Philharmonie für 20 DM erhältlich. Eine weitere Bezugsquelle: www.berlin-transition.de

E georg klein transition (für vier
Stimmen mit einem Text von Bertolt Brecht): vor dem Eingang der
Philharmonie, Tiergartenstr. Dauer: 25.3. ­ 23.9.2001 (263520 Minuten)

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