Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Na, habt ihr euch verirrt?

Jenseits der Szene: die letzten Kneipen im Prenzlauer Berg

Das 1988 von der Berlin-Information herausgegebene Handbuch Sie wünschen bitte? Gaststätten in Berlin (gemeint war die „Stadt des Friedens", also die Hauptstadt der DDR) dokumentiert eine untergegangene gastronomische Welt. Die Krusta-Stuben und Jägerheime, die „Nationalitätenrestaurants" wie das BUKAREST oder der USBEKISCHE GASTHOF in der Prenzlauer Allee, fast alle sind sie dahin oder brutal und geschmacklos renoviert worden, der Chimäre eines sogenannten Weststandards hinterherhechelnd. Ein besonderer Kahlschlag hat natür-lich im Szenebezirk Prenzlauer Berg stattgefunden. Die FEIERABENDKLAUSE in der Greifenhagener Straße, die BIERBAR VENEZIA in der Schönhauser Allee oder die traditionsreichen ALTBERLINER BIERSTUBEN am Senefelderplatz, die bis vor zwei Jahren mit ihrer bodenständigen Küche ein hauptsächlich schwules Publikum angezogen hatten, alle sind sie verschwunden, meist austauschbaren Szenekneipen gewichen, in denen man Milchkaffee trinkt, wo Kerzen auf den Tischen stehen und wo eine mäßige, meist überteuerte Bistroküche angeboten wird. Oder eine alte Gaststätte ist bis zur Unkenntlichkeit umgestaltet worden und hat mit dem alten Lokal nur noch den Namen gemeinsam, der GOLDENE ANKER etwa in der Greifswalder Straße oder das GRELL-ECK (Grellstr./Ecke Prenzlauer Allee).

Glücklicherweise gibt es aber noch einige wenige Kneipen, die nicht vollkommen verunstaltet wurden, Oasen im Prenzlauer Gebirge. Sogar in der hippen Oderberger Straße gibt es mit der GASTSTÄTTE „ZUM ODERKAHN" (Oderberger Str. 11) einen angenehmen Kontrapunkt. In der hübsch mit allerlei nautischen Requisiten dekorierten Kneipe scheint die Zeit stehengeblieben zu sein, und wenn am Sonnabend im Kiez das Szeneleben tobt, bleibt der ODERKAHN gleich ganz geschlossen. Die Kneipe in der Stahlheimer Str. 30 heißt direkt ZUR OASE. „Der internationale Frühschoppen ist beendet", wird den Eintretenden um 22 Uhr beschieden. Aber ein Bier geht trotzdem noch und ein zweites wohl auch. Hier hat sich tatsächlich gar nichts verändert, außer dass man seit einigen Jahren mit DM bezahlen muss. In die Eurozeit wird sich die OASE wohl auch noch hinüberretten. Es gibt hier noch die alten DDR-Restaurant-Einheitsstühle, die sozialistische Variante des Bauhaus', die scheinbar allerorten als besonders hässlich empfunden wurden und kurz nach der Wende weichen mussten. Die Kneipe scheint eine Art Nachbarschaftstreff zu sein. Auffallend viele ältere Frauen sitzen hier alleine an ihren Tischen. „Na Schätzchen, hast du keinen Hunger?" wird eine vom Wirt angesprochen, die ihren Eintopf nur halb ausgelöffelt hat. Das Speisenangebot ist für eine solche Kneipe bemerkenswert groß, Kohlrouladen gibt es, auch einen Putenbrustbraten. Der Wirt zeigt sich besorgt, dass seine Gäste gut nach Hause kommen, nicht ohne Grund, wenn, wie bei einer Frau, Suff und Gehbehinderung zusammenkommen. Auf der Toilette hängt ein Schild: „Bemühen Sie sich bitte um eine hohe Trefferquote".

Auch im PRENZLAUER KRUG (Prenzlauer Allee 43) hat sich all die Jahre nichts geändert. Am 1. August können Hagen Rimpl und seine Frau ihr 25-jähriges Jubiläum als Wirtsleute des KRUGS begehen. Eine große Feier soll es aber nicht geben. Mehr und mehr bleiben die Gäste weg. Die Schuld gibt man den umliegenden Szenekneipen. Im KRUG kostet ein großes Berliner 2,80DM. „Wir sind die einzigen, die hier Miete zahlen", meint die Wirtin. Groß ist die Fluktuation in dem Haus, das schon vor Jahren hätte saniert werden sollen, immer wieder verkauft wurde; im Hintergrund gibt es irgendwelche Alteigentümer – wahrscheinlich ist die Situation für den PRENZLAUER KRUG ein Glück. Durch die Kneipe dröhnen die Nachrichten eines der unsäglichen Berliner Privatsender: Die Schultheiss-Brauerei, so wird gemeldet, will ihre Produkte Aecht Patzenhofer und Engelhardt einstellen.

Die GASTSTÄTTE WILLY BRESCH (Greifswalder/Ecke Danziger Str.) kann nicht über Besuchermangel klagen. Am frühen Sonntagabend sind in der geräumigen Gaststätte alle Tische besetzt. „Marie, der letzte Tanz ist nur für dich" singt Rex Gildo und animiert ein älteres Paar zum Tanz. Überhaupt ist der Altersdurchschnitt in vielen dieser Kneipen relativ hoch, die Zukunft ungewiss. Die GASTSTÄTTE WILLY BRESCH wurde sogar schon auf den „Berliner Seiten" der FAZ gewürdigt. Eine Prise „Trash" als gastronomische Gegenkultur können auch die Szene-Neuberliner vom Prenzlauer Berg ab und an gebrauchen. Für dynastische Kontinuität ist bei WILLY BRESCH immerhin gesorgt: Im nächsten Jahr übernimmt der Sohn von Inhaberin Ingrid Seibt.

So etwas wie eine säkularisierte Eckkneipe stellt das METZER ECK (Metzer/Ecke Saarbrücker Str.) dar, unangetastet die alte holzgetäfelte Stube. Das METZER ECK ist aber keineswegs die Trutzburg einer alteingesessenen Kiezmentalität. Auch Studenten und jüngere Leute fühlen sich hier wohl. Diese Öffnung hin zu einer Durchmischung des Publikums, einzige Perspektive der al-ten Eckkneipen, kennzeichnet auch das wunderbare LOHRENTZ-ECK (Greifswalder/Ecke Grellstr.). Man wird hier schnell freundlich aufgenommen, beim zweiten Besuch hat die aufmerksame Bedienung schon registriert, welcher Biersorte in dem umfangreichen Angebot man zuneigt. 0,5 l Falter – die Brauerei aus Hof ist sonst weit und breit nirgends vertreten – kosten nur 3,10DM. An der Einrichtung, den imposanten Lampen aus den sechziger Jahren etwa, haben sich die Wirtsleute des LOHRENTZ-ECK glücklicherweise nicht vergriffen, das Bier- und Spirituosenangebot wurde behutsam auf Westniveau gebracht. An Feiertagen, so wird erzählt, werden vom Haus immer die „furchtbarsten Liköre" spendiert. Da bleibt man dann doch lieber beim Falter. 89 % Bier, 10 % Schnaps und nur 0,4 % Alkoholfreies, will die BZ herausgefunden haben, die das LOHRENTZ-ECK 1998 enthusiastisch gefeiert hat („das kleine Glück"), werden dort im Tagesdurchschnitt ausgeschenkt.

Von der TONNE zum GASTHOF ZUR SONNE mutierte kürzlich die Kneipe an der Ecke Stargarder/Greifenhagener Straße, wahrscheinlich die einzige ohne Darkroom im Kiez. Die Erklärung: Die neuen Pächter sind zum alten Namen zurückgekehrt, der seit den dreißiger Jahren bis Anfang der Neunziger bestanden hatte und damals wegen einer „Schuldenübernahme" geändert worden war. Neben dem Eingang hängt ein großes Bild der Gethsemanekirche, zwei Männer werden gegen Mitternacht mit „Na, habt ihr euch verirrt?" begrüßt. Wie lange noch wird man sich im Prenzlauer Gebirge verirren können???

Florian Neuner

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