Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Verbotsschilder ignorieren!

Debatte über die Zukunft des Reichsbahnausbesserungswerks

Wenn sich die Fabrikgesellschaft zurückzieht, hinterlässt sie ungenutzte Räume, Brachen, wo sich die Natur ihren Raum zurückerobert und wohin es nur Menschen treibt, die sich gerne abseits der üblichen Wege auf die Suche begeben. Wer in der Friedrichshainer Revaler Straße auf das Gelände des ehemaligen Reichsbahnausbesserungswerkes (RAW) gelangt und sich dort, Verbotsschilder ignorierend, durch das Gestrüpp bis zu den Gleisen vorpirscht, blickt auf die ehemalige NARVA-Fabrik und heutige sogenannte Oberbaum-City und sieht, was aus der schönen Idylle auch werden kann: eine sterile Ansammlung von Bürohäusern, wo nur die Fassade stehengeblieben ist, um eine Echtheit zu simulieren, die keine ist.

Um derartige Scheußlichkeiten zu verhindern und das Gelände für Kiez und Kultur zu erschließen, fanden sich 1998 einige Anwohner und andere Interessierte zusammen und gründeten den Kulturverein RAW-Tempel e.V., der seit 1999 hier aktiv ist. Die vier denkmalgeschützten Gebäude an der Revaler Straße werden von 33 Gruppen aus dem Stadtteil genutzt: für Theateraufführungen, Musik oder Sport. Es wird versucht, eine Stadtplanung von unten zu forcieren. Die rechtliche Grundlage des Gesamtprojektes bildet ein Zwischennutzungsvertrag mit dem Bezirk bis Ende Juni nächsten Jahres, der an-schließend halbjährig verlängert werden kann. Eigentümerin ist aber eines der größten deutschen Immobilienunternehmen, die Deutsche Bahn Tochter Vivico Management GmbH, die die Regie über vorläufige Lösungen dem Friedrichhainer Rathaus übertragen hat.

Foto: Christoph Eckelt

Nun hat die von der Vivico beauftragte Dr. Gop & Klingsör Projektentwicklungs-undMarktforschungs GmbH einen Erschließungsplan für das Ge-lände vorgelegt: Neben einigen neuen Straßen soll möglichst viel Gewerbefläche geschaffen werden. Wie so viele Pläne wird sicher auch dieser anders umgesetzt werden. Er dient aber als Grundlage für den angelaufenen städtebaulichen Wettbewerb, an dem über eine Steuerungsrunde neben der Eigen-tümerin und dem Bezirksamt auch Anwohnervertreter und der RAW-Tempel beteiligt sind. Letzteren geht es darum, den derzeitigen Charakter des Areals weitestgehend zu erhalten und möglichst viel Raum für kulturelle und soziale Belange auszuhandeln. Darin werden sie von dem grünen Bezirksstadtrat für Stadtplanung und Bauen in Friedrichshain-Kreuzberg, Dr. Franz Schulz unterstützt. Im Herbst soll der Bebauungsplan vorliegen.

Neben den offiziellen Verhandlungen hat das Projekt workstation e.V. als Untermieter des RAW-Tempel eine breite Debatte über die Zukunft des noch fast ungenutzten 100000 Quadratmeter großen Grundstücks angeschoben. In einer ersten bis Ende Mai dauernden Phase sind alle Interessierten eingeladen, ihre Ideen einzubringen. Dazu ist eine Web-Seite mit aktuellen Informationen und einem Diskussionsforum eingerichtet worden. Auch ohne Netzzugang gibt es die Möglichkeit der Beteiligung: Jeden ersten und dritten Samstag im Monat ist Sprechstunde, von 14 bis 16 Uhr.

Im dichtbebauten Friedrichshain liegt es auf der Hand: Die ersten Ideen, die geäußert wurden, betrafen Wünsche nach mehr Grünflächen und nach Räumen für Kinder und Jugendliche, auch nach kulturellen Angeboten.

In einer zweiten Phase von Juni bis September sind bisher fünf thematische Werkstätten anberaumt, in denen konkrete Ideen mit Fachleuten vertieft werden und so in die Verhandlungen mit der Vivico einfließen können. Bisher sind Werkstätten zu den Themen „Finanzierungsmodelle", „Ort für zeitgemäßes Lernen", „Kinder- und Jugendstadt", „Bauliche Planung" sowie „Kunst und Kultur" geplant. Begleiten werden diese Ideenfindung einige größere Informations- und Diskussionsveranstaltungen in den Räumen des RAW.

Dirk Rudolph

jeden 1. und 3. Samstag im Monat, 14 - 16 Uhr im Pförtnerhäuschen auf dem RAW-Gelände, Revaler Straße 99, 10245 Berlin,

fon 29365828, www.co-forum.de

e-mail: ideenaufruf@raw-ev.de

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