Ausgabe 05 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Was passiert hier eigentlich?

Kapitalismuskritik in der postmodernen Spaßgesellschaft

Berlin am 1. Mai: Während sich in Kreuzberg wie jedes Jahr Hundertschaften gewaltbereiter Polizisten zusammenrotten und sich am Lausitzer Platz ein Demonstrationszug gegen das Verbot der 18-Uhr-Demo in Bewegung setzt, liegt die Auguststraße ruhig und menschenleer in der Frühjahrshitze. Nur eine zehnminütige U-Bahnfahrt liegt zwischen den beiden Welten, die gegensätzlicher kaum sein könnten, der schicken Kunstmeile in der neuen Mitte und dem alten Westberlin, wo noch immer die Rituale der achtziger Jahre in Szene gesetzt werden, ein Nachwuchsproblem haben die Kreuzberger Straßenkämpfer offenkundig nicht. Während also in Kreuzberg alle gebannt darauf warten, wann es diesmal so richtig krachen wird, versammelt sich auf der Baustelle der neuen Aktionsgalerie in der Auguststraße ein kunstinteressiertes Szenepublikum, um bei Kaffee und Kuchen Live-Bilder aus der Oranienstraße zu verfolgen. Auf einem Tisch ist ein Plan von Kreuzberg 36 ausgebreitet, mit grünen und roten Spielsteinen werden die Bewegungen von Polizei und Demonstranten nachvollzogen. „Kampfbereit" heißt das Projekt des Performancekünstlers Iepe BT Rubingh und des Theatermachers Max Schumacher, die von der Leitzentrale in Mitte aus eine Reihe von Performances koordinieren, die in Kreuzberg, gleichsam zwischen den Fronten, für Irritation sorgen sollen: Die sogenannte „Blaumann-Truppe", gekleidet in blauen Arbeitsoveralls, trägt monochrom blaue Schilder, ohne Text: eine Gruppe von Asiaten ist mit Photoapparaten mitten im Geschehen unterwegs; per Megaphon ergeht der Befehl „Küssen aufs Maul", worauf sich fünf Pärchen synchron intensiv küssen; schließlich werden große Transparente aus Spiegelfolie herumgetragen, sowohl den Polizisten als auch den Demonstranten soll so ein Spiegel vorgehalten werden.

„Wie artikuliert man in der Konsensgesellschaft Kampfbereitschaft?" fragen die Initiatoren. Sie gehen gleichzeitig von der „Unmöglichkeit politischer Äußerung und eklatanter Dringlichkeit" aus. Soll das heißen, die Anliegen der Demonstranten wären im Prinzip schon die richtigen? Man erfährt es nicht. „Wouldn`t it be nice if art was dangerous" war der Titel einer Ausstellung des Niederländers Rubingh im letzten Jahr. In Tokio wurde er bei einer Aktion sogar verhaftet. Im Berlin der Generation Schlingensief kann man sich mit dem Willen zur wirksamen Provokation freilich nur die Zähne ausbeißen. Die „neuen Strategien", für die „Kampfbereit" stehen möchte, zeigen letztlich nur, dass die postmoderne Ästhetisierung auch vor politischen Protestformen, so fragwürdig und ineffizient diese auch sein mögen, nicht Halt machen. Und Ästhetisierung bedeutet immer Neutralisierung der Inhalte.

Ein Teil der Aktion war auch das Abwerfen kleiner Fallschirme auf die Oranienstraße, gefertigt aus Plastiktüten: „In diesem Transferakt ist Konsum- und Kapitalismuskritik enthalten." Wenn das ernst gemeint sein soll, dann haben die betrunkenen Punks auf dem Mariannenplatz nach wie vor die besseren Strategien. Um 18 Uhr, als es dann in Kreuzberg zur Sache ging, war die Kunstaktion im Übrigen beendet. So weit war es mit der Kampfbereitschaft dann doch nicht her.

Florian Neuner

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 05 - 2001