Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Das Obsolete der ganzen Maschinerie

Unzeitgemäßes zur rechten Zeit von Hans G Helms

In ihrem Vorwort bereiten die Herausgeber Heinz-Klaus Metzger und Rainer Riehn den Leser auf ein „antizyklisches", ein gegen die intellektuellen Moden gerichtetes Heft vor, auf Analysen, die derzeit „keine Konjunktur" haben. Man ahnt es bereits, es muss von marxistischer Theorie die Rede sein. Die jüngste Ausgabe der „Musik-Konzepte" versammelt unter dem Titel „Musik zwischen Geschäft und Unwahrheit" Aufsätze von Hans G Helms aus den sechziger und frühen siebziger Jahren.

Dass die musikalische Produktion ökonomischen Bedingungen unterliegt; dass Musik zunehmend bzw. ausschließlich „nach dem Gesetz der Ware" produziert wird ­ ist deshalb nicht weniger wahr, weil es heute niemand mehr hören will. Helms, der Kölner Komponist, Schriftsteller, Filmemacher und Theoretiker, zählt zu den wenigen, die das nicht verdrängen. Die „Retrospektive" dieser Aufsatzsammlung ist also keineswegs der Rückblick auf einen Standpunkt, der sich für den Autor erledigt hätte. „Noch nie in der Geschichte der europäischen Kunstmusik ist soviel Ramschware in Noten gesetzt und improvisiert worden", schreibt Helms in seiner Einleitung und meint damit den status quo. In den 30 Jahre alten Texten Þndet man die Vorgeschichte zu dieser Situation. Geradezu prophetisch mutet es an, wenn Helms etwa die für die Musik fatalen Strukturen der Festivals für neue Musik beschreibt – zu einer Zeit, als der ökonomische Druck noch wesentlich geringer war und der öffentlich-rechtliche Rundfunk noch einen festen Stand hatte: In immer kürzeren Abständen muss konforme Uraufführungsware geliefert werden, und es sind immer dieselben Leute, an welche die Aufträge ergehen. Wer Stücke von Rihm, Kyburz und Konsorten kennt, weiß, welche qualitativen Auswirkungen das zwangsläufig hat.

Helms kämpft an zwei Fronten: Er wendet sich einerseits gegen einen Elitarismus, der neue Musik in einer Nische bürgerlicher Harmlosigkeit belässt, aber auch gegen jede falsche Popularisierung, die Preisgabe des reflexiven Niveaus der musikalischen Avantgarde: „Das Grundkriterium der künstlerischen Produktion ist die Konstruktion von Zusammenhängen, die kraft Reflexion das aufdecken, was, wie immer verhüllt, in der Gesellschaft miteinander in Beziehung steht und interagiert (...) es geht um die Konstruktion von gesellschaftlichen Prozessen und Tendenzen zu Perspektiven einer vernünftigen sozialen Entwicklung." Darum geht es immer noch.

Florian Neuner

Hans G Helms: Musik zwischen Geschäft und Unwahrheit (Musik-Konzepte 111, edition text + kritik). 36 DM

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  Ausgabe 04 - 2001