Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
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Aus der Stille des Exils

„Spurensicherung" ­ eine neue Buchreihe des Berliner Künstlerprogramms des DAAD

Dass die Namen der Übersetzer auf der Titelseite eines Buches zu lesen sind, ist ungewöhnlich. Beim Berliner Künstlerprogramm des DAAD ist man sich der Bedeutung der übersetzenden Vermittler allerdings bewußt. Künstler aus aller Welt erhalten durch die Stipendien des DAAD die Möglichkeit, ein Jahr lang ungestört in Berlin zu arbeiten. Bei den Schriftstellern geht es dann natürlich auch immer darum, Übersetzungen ihrer Werke ins Deutsche anzuregen bzw. zu unterstützen. Es hat auch in der Vergangenheit bereits Versuche gegeben, das mit eigenen Publikationen zu tun; eine Zeit lang in Zusammenarbeit mit dem Literarischen Colloquium, später dann mit dem Aufbau Verlag. Doch für einen marktorientierten Verlag ist die Pflege einer Nische, wie sie die Vermittlung anspruchsvoller fremdsprachiger Literatur nun einmal darstellt, heute nicht mehr tragbar. Barbara Richter, die den Bereich Literatur leitet, hat deshalb nun eine eigene Reihe ins Leben geworfen, von der jetzt die ersten vier Titel vorliegen.

Das Berliner Künstlerprogramm des DAAD, das in diesen Wochen sein 35-jähriges Bestehen feiert, ist eine typische Westberliner Einrichtung. Die Stipendiatenwohnungen liegen auch heute noch in Charlottenburg, bloß die Bureaus sind nach Mitte umgezogen. Von Witold Gombrowicz bis István Eörsi erhielten eine ganze Reihe osteuropäischer Autoren die Gelegenheit, im Westen zu arbeiten. Auch Gao Xingjiang, der Literaturnobelpreisträger des Jahres 2000, war schon 1985 in Berlin zu Gast. Von Gao Xingjiang ist in der neuen Buchreihe ein Gespräch mit Yang Lian, der ebenfalls im westlichen Exil lebt und 1991 DAAD-Stipendiat war, erschienen: Was hat uns das Exil gebracht? „Schriftsteller im Exil werden immer stiller", sagt Gao. Er habe die Hoffnung, so „ein Höchstmaß an sprachlicher Reinheit und sprachlichem Experiment" zu erreichen. Das war, bevor der Nobelpreis in die Stille des Pariser Exils platzte. Wie alle Texte der Reihe, ist auch das Gespräch der beiden Chinesen sorgfältig kommentiert und mit einem Vor- bzw. Nachwort versehen worden. Man findet außerdem biobibliographische Angaben über die Autoren.

Eine Frage, welche die Aktivitäten des Berliner Künstlerprogramms immer begleitet, ist die nach den Spuren, die Berlin in den Werken der Autoren hinterläßt Die Antwort muss so unterschiedlich ausfallen, wie es die Schriftsteller nun einmal sind. Wenn es aber so etwas wie einen idealen Stipendiaten gibt, dann ist das vielleicht der Ungar László F. Földényi. Als Übersetzer ist er ein Vermittler zwischen den Ländern und Sprachräumen, hat zudem Bücher über Caspar David Friedrich und Heinrich von Kleist geschrieben. Földényi bezeichnet sich als einen „Berlin-Experten wider Willen", und sein Beitrag zur Reihe „Spurensicherung" ist dazu geeignet, diesen Ruf zu festigen: Mit dem Unbegreiflichen leben. Notizen aus Berlin. In dem titelgebenden Text erinnert sich Földényi an seinen Berlin-Aufenthalt 1988/89. Der Ärger über die rücksichtslosen deutschen Radfahrer mündet in Betrachtungen über den Umgang mit der deutschen Vergangenheit. Der zweite Essay stellt ausgehend von Filmbildern die Frage nach einer Berliner Identität, spekuliert über das männliche und das weibliche Berlin, über „unterdrückte Sexualität" in der preußischen Stadt. Földényi macht in dem Text aber auch klar, dass die Ost-West-Unterschiede in der Stadt nicht erst seit dem Krieg bestehen: „Ostberlin bot sich von vornherein an, Ostberlin zu werden. In Westberlin hätten sich die Russen nicht so leicht einrichten können. (Aber sie hätten es schon geschafft)."

Jeffrey Eugenides, 1999/2000 DAAD-Stipendiat, schreibt Kurzgeschichten für den „New Yorker", steht mithin für die Art von Erzählliteratur, wie sie den Autoren deutscher Zunge gerne als Vorbild vorgehalten wird. Pointenreich und realitätsgesättigt sind diese stories, angesiedelt in der New Yorker Schickeria; der Leser darf sich intelligent unterhalten fühlen. Der Band Air Mail versammelt zwei dieser Erzählungen. Dramaturgisch läuft alles wie am Schnürchen, nach Schema F. ­ eine glatte, handwerklich biedere Literatur, die keinerlei Widerstände bietet, höchstens Stoff für Smalltalk.

Da ist es wesentlich sinnvoller, wenn sich der DAAD für den in Hongkong lebenden Lyriker Leung Ping-kwan engagiert. Wolfgang Kubin hat eine Auswahl von Gedichten übersetzt, die teilweise Ende der neunziger Jahre in Berlin entstanden sind: Von der Politik und den Früchten des Feldes. Vom ersten Schnee in Berlin ist da etwa die Rede, von Barkeepern in Tokio, häufig und zentral vom Essen, und das alles hängt wiederum mit Politik zusammen. Leung Ping-kwans Gedichte sind nicht hermetisch, gehen oft von visuellen Reizen aus, erzählen ganze Geschichten in komprimierter Form.

Florian Neuner

-Leung Ping-kwan: Von Politik und den Früchten des Feldes. Gedichte (Aus dem Chinesischen von Wolfgang Kubin)

-László F. Földényi: Mit dem Unbegreiflichen leben. Notizen aus Berlin. Essays (Aus dem Ungarischen von Hans Skirecki und Akos Doma)

-Jeffrey Eugenides: Air Mail. Erzählungen (Aus dem Amerikanischen von Cornelia C. Walter)

-Was hat uns das Exil gebracht? Ein Gespräch zwischen Gao Xingjiang und Yang Lian über chinesische Literatur (Aus dem Chinesischen von Peter Hoffmann)

Alle Bände der Reihe „Spurensicherung" kosten DM 16,80 und sind zu beziehen über das Berliner Künstlerprogramm des DAAD, Markgrafenstr. 37, 10117 Berlin.

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