Ausgabe 04 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

New Urbanism = New Capitalism

Eine unsägliche Werbeveranstaltung für die Bebauung des Tacheles-Areals

„New Urbanism am Tacheles?" lautete der Titel des Architekturgesprächs unter der Leitung von Hans Stimmann Ende März im Spreespeicher an der Oberbaumbrücke. Das Fragezeichen entfällt, wenn man in Betracht zieht, dass das Projekt des Projektentwicklers und Investors Jagdfeld und des Architekten und Städteplaners Duany unabhängig von angebrachter Kritik realisiert werden wird. Die Öffentlichkeit bleibt ausgeschlossen, da es sich bei diesem Projekt um privaten Städtebau handelt. Das Areal hinter dem Tacheles, das die Oranienburger Straße und die Friedrichstraße verbindet, einschließlich des Tacheles selbst, befindet sich bereits im Besitz von Jagdfeld, und dieser behält sich vor, die Architekten für sein Projekt zu benennen.

So erweckt auch dieses Architekturgespräch den Eindruck, eine als Podiumsdiskussion getarnte Werbeveranstaltung für das Projekt zu sein. Vom Podium, besetzt von Architekten des „traditionellen Bauens" und einem noch konservativeren Architekturkritiker, sind kaum kritische Stimmen zu hören, kontroverse Positionen werden dem Publikum überlassen, das aber zum Ende des Gesprächs aufgefordert wird, dem Projekt eine Chance zu geben und erst einmal abzuwarten, was denn dort entstehen werde. Ob man die Bauten dann letztendlich wieder abreißen würde, wenn sie sich tatsächlich nicht bewähren würden?

Demokratischer Geldbeutel

Der New Urbanism hat laut seiner Charta, deren Mitverfasser Duany ist, den Anspruch der sozialen Mischung und der vielfältigen Nutzbarkeit. Tatsächlich geht es an diesem Abend hauptsächlich um Fragen des architektonischen Stils, und man denunziert gerne die Projekte der klassischen Moderne, reduziert auf Beton- und Glasfassade. Dabei verwehrt sich Duany dagegen, nur ein Verfechter des traditionellen Bauens zu sein, vielmehr würde sich der New Urbanism nach der Leitidee der „Choice" richten. Die Architekten des New Urbanism würden durchaus Häuser in modernem Stil bauen und hätten dies in den USA auch schon getan. „Choice" bezeichnet nichts anderes als die freie Wahl des Konsumenten zwischen verschiedenen Typen von Häusern, die von ihm käuflich erworben oder im Falle des Tacheles-Areals auch gemietet werden können. Die Teilnahme an „Choice" fängt in den USA an, wenn eine Familie ca. 7000 US-Dollar für einen Kaufkredit auf den Tisch legen und ein gesichertes Einkommen nachweisen kann. Wer diese Kriterien nicht erfüllt, muss leider draußen bleiben. So hat der New Urbanism zwar eine stärkere Durchmischung innerhalb der weißen Mittelklasse mit sich gebracht, eine Integration nicht-weißer Bevölkerungsteile in die Projekte des New Urbanism ist aber kaum erfolgt, wie der Architektursoziologe Prof. Bodenschatz vorträgt. Dennoch hält Duany daran fest, den New Urbanism als Inbegriff der Demokratie zu propagieren, mit „Choice" als deren zentrales Element.

Architekt und Investor geben sich aber auch gerne zu einem Dialog bereit – selbstverständlich nicht zur Diskussion mit einem „Mob" – nicht die Anzahl der Meinungen zählt, sondern die Qualität. Man redet am liebsten mit Experten und ausgewählten, vernünftigen Repräsentanten, wie es im Falle des Tacheles mit einem dort tätigen Künstler geschehen sein soll. (Nebenbei folgt man auch gerne der Intuition seiner Ehefrau, was Jagdfeld im übrigen dazu bewogen hat, Duany für die Realisation seiner Projekte heranzuziehen. Gleichzeitig soll an dieser Stelle bemerkt sein, dass auf dem von Experten besetzten Podium keine einzige Frau vertreten ist.)

It could be better!

In seiner Charta kommt der New Urbanism irgendwie bürgerbewegt daher: „Der Kongress für New Urbanism sieht Investitionsabbau in den zentralen Innenstädten, ein Ausbreiten der Zersiedlung, die zunehmende räumliche Trennung nach Rasse und Einkommen, die Verschlechterung der Umwelt, den Verlust an Flächen und Naturraum, sowie die Erosion des baulichen Erbes der Gesellschaft als eine Herausforderung, Gemeinschaft zu stiften." Auch wenn diesen Punkten sicherlich die verschiedensten Menschen zustimmen würden, ist in der gesamten Aussage der konservative Grundton kaum überhörbar: Man soll sich zusammenraufen, um dem Schlechten in der Welt zu begegnen, und das geht am besten in der (nachbarschaftlichen) Gemeinschaft. Identität und Verantwortung für das, mit dem einen die Identität verbindet, sind weitere Aspekte, denen die Neuen Urbanisten größte Wichtigkeit beimessen, sowie geschichtliche Kontinuität, die sich in der Konservierung historischer Bauwerke niederschlägt. Nicht die Revolution führt zur Veränderung der sozialen Verhältnisse, sondern das kleinteilige soziale Engagement und die Identifikation mit der eigenen Parzelle, sowie die Wahrung geschichtlicher Kontinuitäten.

Nicht der Baustil des New Urbanism ist als neo-konservativ oder traditionell zu bezeichnen, an diesem Punkt mag Duany recht haben, wohl aber sein inhaltliches Programm, das gerade gut genug dazu ist, Suburbia als Disneyland einer kleinstädtischen Idylle wiederaufzubauen. Nicht die Kulissenstadt ist das Disneyhafte, wie Duany richtig sagt, sondern die Aspekte des Überschaubaren und Sicheren, des Vielfältigen, das nicht ins Unvorhersehbare zu entgleiten droht. Vor allem aber wird an den Kassen von Disneyland ein Eintrittspreis zur heilen Welt entrichtet, mit dem erst die Gleichheit zu allen anderen Individuen erkauft werden kann. Die sozialen Widersprüche bleiben vor der Tür, genauso wie die Besitzlosen. So wird es wohl auch am Tacheles geschehen, wenn es an diesem Abend auch keine Antwort auf diese Frage geben sollte.

Jutta Blume

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 04 - 2001