Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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die besessenen

Über die Begegnung zweier merkwürdiger Zeitgenossen im Weimarer Park & ihre höchst merkwürdige Unterhaltung samt effektvollem Schluß

Eiei, welch sonderbarlich behütet Mensch sehen wir da durch des Geheimen Rates Vorgärtlein promenieren? Ja, dort unterhalb des prächtgen Schlosses von Jottweedee stolzieret einer mit dem schritt der Könige! Angetan mit einem Wams von tiefstem Schwarz, einem Hemmed gleichwohl derselben Farb & einer Zipfelmütz bar jeden Zipfels, oho! oho! ist das nicht der vortrefflich Dichtersmann & Reimling Luther? Jaja, er ists! Jetzt hält er ein in seinem majestätisch Gang & läßt sich: Uff! nieder auf einem verschattet Bänklein unter Linden.

& dort, gar wohl versehen mit flatternd gilben Pumphosen & keck bis zum Nabulus geöffnet Chemissettchen, stürmt über saftgen Wiesengrund heran ein rüstig Recke, dem die Augen silbrig blitzen. Wir wissens schon, das ist der hochgelahrte Musensohn & Meistersinger Willmann! Auch er scheint sehr bedürftig einer Ruhestatt unterm Blattwerk eines Baumes. Also hupfet er geschwind zur Bank, auf welcher sich der vielgerühmte J.W. Luther recht angenehm & füglich ausgebreitet, & spricht in wohlgesetzten Worten:
- Guten Tag, mein Herr, ist der Platz neben Ihnen noch frei?
- Aber natürlich… ich lade Sie herzlich ein, sich neben mich zu setzen.
- Vielen Dank.
& F.R. Willmann, jener oft Besungne, setzt sich & beginnt mit seinem Nachbarn zu parlieren:
- Was für ein schöner Tag!
- Ja, ein sehr schöner Tag!
- Ein außerordentlich schöner Tag!
- Ein wirklich unübertrefflich schöner Tag!
- Der wunderbare Duft der Gräser…
- Die köstliche Musik der im Wind raschelnden Blätter…
- Der erhabene Anblick des grandiosen Sonnenuntergangs…
- Das allumfassende Gefühl des Einsseins mit der Natur…
- Jaa…
Die beiden Herren schweigen andächtig, bis jener, der sich Willmann nennet, anhebt, aufs neu zu psalmodieren:
- Sie scheinen ein ebenso großer Liebhaber der Natur zu sein wie ich.
- Das möchte ich wohl meinen! Meine schönsten Gedichte handeln von der Natur…
- Ach… sie sind ein Dichtersmann!
- Ja, mein Herr!
- Ein Dichtersmann… ich bin entzückt… wirklich entzückt! Denn Sie werden es nicht glauben, auch ich bin ein der Literatur ergebner Diener… Willmann ist mein Name…
- Aha, sehr schön… ich heiße J.W. Luther. Hochpoet & Allesschreiber. Haben Sie schon von mir gehört?
- Nein, & ich bedaure das aufs
höchste… aber, sagen Sie… Willmann… diesen Namen kennen sie doch? F.R. Willmann, der Meister aller guten Worte?
- Nein, wirklich nein… aber lassen Sie uns doch unsere schmählichen Versäumnisse damit aus der Welt räumen, indem jeder eines seiner Gedichte vorträgt.
- Das, mein Herr, ist eine Idee, die einem wahrhaft großen Geiste ziehmt.
- Nun denn, beginnen Sie…
- Es ehrt Sie, daß Sie mich zuerst zum Zuge kommen lassen wollen, jedoch der Vortritt gebührt dem, der diesen Vorschlag machte…
- Gut, seis drum. Ich möchte ein Naturgedicht zu Gehör bringen. Es heißt: es saß ein has im gras…
- Ah, schon um die Wahl des Titels muß man Sie beneiden! Ein ganz vorzüglicher Titel! Bravo!
- Lieber Freund… ich darf Sie doch Freund nennen?
- Aber natürlich! Ich bin aufs höchste erfreut, von Ihnen Freund genannt zu werden, & ich gestatte mir, Sie nun gleichfalls Freund zu nennen… mein Freund!
- Mein lieber Freund… ich wollte
sagen, daß Sie mit den Beifallsbekundungen warten sollten, bis ich mein
Gedicht vorgetragen habe…
- Aber nicht doch, seien Sie doch nicht so bescheiden. Ich sage es noch einmal: ein ganz vorzüglicher Titel. Die Wahl des Titels ist nämlich ganz entscheidend für ein Gedicht. Ein Titel, verehrter Freund, ist an sich schon ein halbes Gedicht.
- Wie recht Sie haben!
- Ja, & ein Titel kann noch viel mehr sein, ein ganzer Roman, ein ganzes Leben, eine ganze Welt… ein ganzes
Gedicht!
- Ich hätte es nicht treffender sagen können.
- Wissen Sie, vor einiger Zeit beabsichtigte ich, einen Gedichtband zusammenzustellen, der nur aus Titeln
besteht…
- Eine Idee, die imstande ist, die Weltliteratur, ach was sage ich, die Weltgeschichte zu revolutionieren!
- Der erste Titel dieser Sammlung sollte lauten: ich & mein ich.
- Ich bin beeindruckt!
- Das Problem aber selbst am besten
Titel ist, daß man meint, er könne doch noch besser sein… so änderte ich den Titel in: mein ich & ich.
- Ich bin ergriffen!
- & später in: & mein ich ich.
- Ich bin überwältigt!
- Dann in: ich mein ich &.
- Ich bin… sprachlos.
- Dann in: iche & in mich, in: chichi &
mine, in: ei chmi & nich, in: mch eh cin & i… Schließlich gab ich es auf.
- Ja, Schreiben ist ein ewiges Scheitern.
- Der normale Sterbliche weiß so wenig, wieviel Herzblut, wieviel Leiden hinter einer einzigen guten Zeile steckt.
- O Dichtkunst, welch schmerzliches Geschenk bist du!
- Sie sprechen mir aus tiefster Seele.
- Wir Dichter müssen die Leiden der gesamten Menschheit auf uns nehmen, denn nur so sind wir befähigt, unserer Berufung gerecht zu werden, als Mahner & Künder, als diejenigen, die am Weltgewissen rühren.
- Manchmal bin ich selbst erstaunt, wie leidensfähig ich doch bin…
- Jaja.
- Aber nun, mein Freund, möchte ich doch gern dem Vortrag Ihres Gedichts mit dem wundervollen Titel lauschen.
- Nun gut… mein Gedicht lautet: sassafraß…
- Auf die Gefahr hin, mich zu wiederholen… ein exzellenter Titel! Ein fänomenaler Titel! Ein Titel, wie ein Titel sein muß: sassafraß. Dieser Titel ist eine Offenbarung. sassafraß… gleich dreimal a… A! Welch göttlicher Buchstabe! A! Der Anfang allen Alfabets! Der Urschrei des menschlichen Geschlechts! AAA!
- Ja…
- & dreimal s! Dreimal a. Dreimal s. Niegehörte Ausgewogenheit einer genialen Wortschöpfung… Dreimal a. Dreimal s. Vervollkommnet durch ein &Mac223;üsterndes f & ein rollendes r. & zum Schluß die Vollendung, die Krönung…dieser einzigartige Buchstabe ß! Der Buchstabe, den es nur im deutschen Alfabet gibt. ß… beredtester Ausdruck deutschen Geistes… In diesem Buchstaben hat er seinen Kulminationspunkt erreicht.
- Da haben Sie völlig recht… Mich hat das ß schon immer wegen seines Aussehens fasziniert… sehen Sie seine unvergleichliche Form… eine kühn nach oben schnellende Gerade, an die sich ein sanft herniedergleitender Mäander schmiegt… Das ß ist die wahrhaft gelungenste Verschmelzung zweier einander ergänzender Prinzipien. & diese Verschmelzung gelingt in einem einzigen Buchstaben… Da ist einerseits das Harte, Spitze, das Aufstrebende & andererseits das Weiche, Runde, das Niedersinkende. & beides verschlungen zum ß…apollinisches Prinzip & dionysisches Prinzip. Verstand & Gefühl. Himmel & Erde. Mann & Frau. Jing & Jang. Dies & das.
- Wenn ich ein Maler wäre, ich würde meine Kunst einzig dieser Form widmen… einzig dem ß. Leinwand um Leinwand würde ich mit ßs bemalen. Denn das ß ist die zum Buchstaben geronnene Welt!
- Das ist wohlgesprochen. & ich möchte hinzufügen, daß das ß auf wohl sinnbildlichste Weise das Verlangen der Menschheit zum Ausdruck bringt, daß zusammenwächst, was zusammengehört…
- Da gebe ich ihnen völlig recht… aber nun möchte ich doch gern ihr Gedicht hören.
- Natürlich… also… ja…
- Was ist, mein Freund?
- Sehen Sie, wenn ich schreibe, tue ich es aus tiefster Seele…
- Ich hätte nichts anderes von Ihnen
erwartet.
- Ich halte beim Dichten sozusagen Gericht über mein eigenes Ich…
- Da geht es Ihnen so wie mir… & ich halte nicht nur Gericht über mein eigenes Ich, sondern ich halte auch Gericht
über mein anderes Ich… & auch über
alle weiteren, die gerade anwesend sind…
- Sie sagen es so, wie auch ich es
gesagt hätte…
- Wie sehr diese Worte sich ähneln: Dichter & Richter… & wie sehr sich die Tätigkeit des Dichters und des Richters gleichen… Berufene, die für die Gerechtigkeit streiten!
- & sie haben beide nur allzu oft unter dem Unverständnis ihrer Mitmenschen zu leiden.
- Nun, auf ein solches Unverständnis werden Sie bei mir gewiß nicht stoßen… wohlan… tragen Sie ihr
Gedicht vor!
- Der Titel des Gedichts ist…
- Ich bin aufs äußerste gespannt!
- was?
- Welch ein Titel! Er ist einem Weltwunder vergleichbar. Alles liegt in ihm:
naive Verwunderung, wißbegierige Neugier, unendliche Tragik, aufkeimende Hoffnung, absolute Taubheit. Alles ist möglich, nichts ist möglich. WAS? Ein Universum…
- Als ich kürzlich einen Roman verfaßte, war ich nahe daran, diesen Titel noch ein zweites Mal zu verwenden. Ich fand jedoch schließlich einen besseren, treffenderen für mein Werk, nämlich: über dem kaukasus lag dein blauer…
- Was?
- Nein, nicht: was, sondern: über dem kaukasus lag dein blauer…
- Das ist völlig unmöglich!
- Was… wieso?
- Ich habe einen Roman verfaßt mit ebendiesem Titel…
- Das kann nicht sein!
- Doch!
- Niemals!
- Oh doch, & ich habe den Verdacht, Sie haben den Titel bei mir gestohlen!
- Lächerlich! Ich kenne weder Sie noch irgendeinen Text von Ihnen… können Sie überhaupt beweisen, daß Sie ein Dichter sind?!
- Frechheit! Was erdreisten Sie sich?! Sie Plagiator!
- Sie Scheinpoet!
- Wortverdreher! Hilfsschreibkraft!
- Semiliterat! Tippbruder!
- Papierbeschmutzer!
- Silbenschnitzer!
- Versabwickler!
- Bleistiftspitzer!
- Bücherschänder!
- Hobbyquasling!
- Stotterkasper!
- Kitschverwalter!
- Sprachvergurker!
- Schundreimling!
- Buchstabenkacker!
- Hermann Kant!
- Sie… Sie… Lutz Rathenow…
& die zwei wortgewaltgen Recken sprangen auf & erhoben voll des Zorns die Fäuste & schlugen RUMMSS!! & nochmal RUMMSS!! einander auf die Nasen. Hehres Dichterblut spritzte fort nach allen Seiten. & nochmal RUMMMSSSS! Die beiden Streiter sanken hin zum Boden, einträchtig vereint in einer allumnachtend Ohnmacht...

Frank Willmann & Jörn Luther

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