Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Der verteufelte Mensch

Überlegungen zum Rebellen Bodo Saggel

Sein Lebensmotto zur Renitenz zusammenzufassen, ist etwas kurz gegriffen, einem Rezensenten Bodo Saggels jedoch schon mal unterlaufen. Bodo Saggel kam 1968 zum SDS in Berlin, mit Heim- und Zuchthauserfahrungen im Gepäck schloss er sich den Studenten an, später war er APO-Aktivist, "Haschrebell" und im "Gefangenenrat". Sein Streben galt der Abschaffung des Zuchthauses. Der Karin Kramer Verlag hat 1998 Bodo Saggels Kampfschriften in einem Buch herausgegeben. Die Texte sind über dreißig Jahre alt, stammen aus einer Zeit, in der es noch Zuchthäuser gab. Aktuell sind sie dennoch. Denn es gilt immer, dass dort, wo etwas nicht mehr normal sein soll, Normen nicht Definitionen, sondern Perspektiven von Interessen der Mächtigeren sind. Aus seiner Perspektive, so Saggel folgerichtig, sind daher Juristen auch kriminell.

Wie Aphorismen aus dem Knast lesen sich Bodo Saggels "wissenschaftliche" Untersuchung zur "Kriminalität der schwarzen Roben", gepaart mit den "Bruchstücken" aus seinem Leben. Sein Buch organisiert sein Leben wie sein Anliegen. Bruchstücke des Ganzen – von der Feststellung, dass ihn wissenschaftlicher Drang zu den Juristen bzw. in den Knast brachte – bis zur Scheibe des Bundeshauses, die er für seinen Protest in Stücke schlug. Diese eigene geistige Organisation, Saggels Sicht, die er nicht auf und her gibt, bringt ihn zum Protest gegen die Gesellschaft der Juristen. Denn als Fazit seiner Knasterfahrungen erfasst er Zuchthäuser zunächst als Züchtung und dann als Züchtigung von Kriminellen, in dieser Reihenfolge. Dagegen setzt er nicht nur das Buch, seinen Fuß in die Scheibe oder seinen Protest, sondern die verblei-bende Möglichkeit. Wenn man Mensch bleiben und nicht krimino-logisch werden will, als kriminell Verurteilter: zählt die eigene Organisiertheit.

Saggels Ansicht ist, dass man aus zwei Perspektiven nicht eine Realität folgern kann. Strafung von Wertung zu trennen, den gesellschaftlichen Zweck vom An-sehen einer Person. Die gesellschaftliche Rolle von dem zu trennen, der sie spielt, den Werdegang vom Umgang zu empfinden. Umgang (mit Kriminellen) ist Umgang mit den Perspektiven, die aber definiert noch keine Realität (weshalb die kriminologische Wissenschaft der Juristen die der Kriminellen ja auch nicht kennen kann). Das Ernst zu nehmen, wäre sogar im eigenen Interesse der Gesellschaft. Kriminelle werden sonst leicht ein circulus vitiosus des Systems. Zum Kreisschluss des Lasters erklärt, ein selbst erdachter Teufelskreis. In Mythen und Medien sind Kriminelle Projektionen und sollten es bleiben. Dämonen oder Helden, Gefahr oder Gerechte. Wenn "die Medien" nicht mehr erzählen, sondern behaupten, wenn internetpublizierte Steck-briefe zu Hetzjagden animieren, dann befindet man sich weder im Realen noch Medialen, sondern schon im Irrealen. Es fragt sich tatsächlich, was oder wer norm-aler ist: wo die Sicht zur Sache wird, werden Folgerungen zu Verfolgern, und das ist dann kriminologisch ad absurdum noch diabolischer als nur teuflisch.

Verena Braun

Bodo Saggel, "Der Antijurist oder die Kriminalität der Schwarzen Roben & Bruch – Stücke aus meinem Leben", Karin Kramer Verlag, 1998, 141 Seiten, 24, 80 Mark

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