Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Räume wie Werbewelten

Lounges in Mitte

In einer der kleinen Gässchen der Spandauer Vorstadt steht man bei einer Bar vor Fenstern und Tür mit Mattglas. Drinnen, wenn man sich in die tiefen Sessel hat fallen lassen und die Cocktailkarte studiert, sieht man kleine Fische in einer Reihe von Aquarien, die in eine Wand eingelassen sind, schwimmen. Die Wand ist grau mit Längsprofilen, die wie Plastik aussehen. Man kann auf der Empore, versunken in bequemen Sesseln, die Augen ruhen lassen in gedeckten Farben, auf den niedrigen Tischen stehen Drinks, die in allen Farben des Universums schimmern. Es gibt keine Tanzfläche, nur eine Sessellandschaft und eine Theke, unterhalb der Empore, in dem langen schmalen Raum, der eine freundliche und gelassene Kühle verströmt. Auch die Kundschaft lässt einen gleichgültig, gelangweilt – obwohl um Mitternacht der Laden brechend voll ist –, solange man in dem Sessel sitzt, mit seinen Freunden redet und privat bleibt, geborgen in einem Ambiente, retro und futuristisch zugleich, das einen einhüllt wie Watte: Man könnte in die Relaxing Area des "Raumschiff Orion" geraten sein. Die frühen Sechziger, die coolen Jazz favorisierten und die beruhigende Anwesenheit von Fischen als Stilmittel kannten, zusammen mit den Cocktails, die in keiner gehobenen Hausbar fehlen durften.

Lounge heißt in angelsächsischen Pubs die Fläche, die wie ein Wohnzimmer mit niedrigen Polstergarnituren möbliert ist und in der man, im Gegensatz zur Theke, wo jeder jeden anredet, unter sich privat als Gruppe bleibt, halb-öffentlich quasi, wie in den Ruhezonen der Clubs, wo die Relikte üppiger Sechziger und realsozialistischen Stilwillens verschwitzten Tänzern Ruhe geben und gleichzeitig die intimere Phase jeder Bekanntschaft eingeläutet werden kann. Irgendwann, in den späten Neunzigern, emanzipierte sich die Lounge vom Club. Auch für die letzten Reste der "Szene" hatten sich längst kuschelige Fauteuils gefunden, lange bevor die Luxusliga sich ihre Orte erschuf. Kurzfristig angesagt unter Kunststudenten war in der ehemaligen Kaufhalle an der Chausseestraße jenes Etablissement, das keine Tanzfläche mehr hatte, nur noch abgetragene Sesselreihen. Man saß da, trank Bier, gab sich Soundteppichen hin und alle körperliche Unruhe fiel dem Polster zum Opfer. Wie bequem, ein kahles und abgefucktes Wohnzimmer, mit der Freiheit, hingehen zu können, ohne die lästigen Dinge wie Sex, Dresscodes und Bewegung im Kopf haben zu müssen, die ja meistens eine Visite am heimatlichen Kleiderschrank und eine gewisse Vorbereitung erfordern: Nein, abzuhängen mit einer Wollmütze auf dem Kopf und mit dem angenehmen Gefühl, trotzdem am Puls des Lebens zu sein, ohne den Attacken des Nachbarn ausgesetzt zu sein.

Diese Oasen des Intimen haben sich ausgeweitet. Luxuriöse Wohlfühlzonen sind entstanden für diejenigen, die die Umarmung des gediegenen Geschmacks dem Trost der Ekstase vorziehen, Sitzlandschaften, in ruhigen Gelbtönen, artifiziell, gediegen und beruhigend, hinter mattiertem Glas, privat und doch nicht zuhause. Anderswo sind es die verrosteten Fensterläden aus Stahl, die weinrote Fauteuils, einen langen, edlen schmalen Raum und eine große Bar freigeben könnten, wenn der Klingelknopf gedrückt und Einlass gewährt wird, in einem Fabrikgebäude, wo sich Werbeagenturen und Screendesigner niedergelassen haben. Auch das 808 für die schwule Klientel hat eine gediegene Lounge mit dezenten Polstermöbeln und Aquarien, mit einer Tür von der Bar getrennt – als hätte man Plätze geschaffen für diejenigen, die wie Michel Houellebecq die sexuelle Einsamkeit als eine Folge der Vermarktung des Eros beklagen. Die Erotik ist vergangen, deplaziert und vulgär, ersetzt durch den Diskurs des Angenehmen und des gu-ten Geschmacks. Die Körper, die noch in den Achtzigern den Mittelpunkt des Interesses bildeten, sind bedeutungslos, in makelloser und bequemer Kleidung. Und der Türsteher, der anhand des Outfits die einen von den anderen scheiden könnte, ist verschwunden, ersetzt durch die diskrete Preisliste der Getränke, die weit effizienter die einen von den anderen trennt.

Man geht aus, nach der Arbeit, in der Nacht, zusammen. Sie arbeiten viel, in den Agenturen, die Designer, mit den neuen Medien, die einen Glanz und eine Oberfläche erzeugen, die vollkommen erscheinen, wenn digitale Überarbeitung den Models zu reinerem Aussehen verhilft und so, trotz öffentlicher Nacktheit, die realen Körper verschwinden. Auf einer Party war der Chef einer der größten Werbeagenturen Berlins anwesend, ein Gesicht ohne Geschichte und Falten, ein schwammiger Körper, dezent und unauffällig mit Kleidung drapiert, dessen geistige Peripherie in Wahrheit aber, man wusste es, eine der renommiertesten Agenturen dieses Landes bildet. Mit dem philosophischen Rüstzeug der Achtziger im Kopf, nachdem das geistige Individuum als philosophisches Ideal längst über Bord gegangen war, hätte man postuliert, die Agenturen, die Firmen, das E-Business und das Geld hätten die Körper aufgesogen. Aber jetzt, wenn auch dieser Blickwinkel verschwindet, bleiben Bilder vom individuellen Leben übrig, die wie die Fotos von Wolfgang Tillman, weder erotische Nähe noch wertende Distanz kennen, sondern die Menschen merkwürdig undifferenziert, unbehaust und fremd erscheinen lassen. Wim Wenders hatte in seinem "Himmel über Berlin" Jahrzehnte zuvor Schaustellerwagen des Circus und die geschminkte Konzertgäste von Nick Cave als Typographien der Identität und der Sehnsucht inszeniert, das Transitorische, die Selbstaufgabe, die in einer substanzlosen Großstadtwüste Halt geben – das ist vorbei, Geschichte. Bergender Hort wird nun die Inszenierung des Angenehmen, des Privaten, des Freundeskreises, der sich trifft und die Auflehnung der Körper verschiebt, und sich der Nähe, der Intimität und der Gemeinschaft verschreibt, dem Privaten, was zufälligerweise auch Jonas Mekas, der alte Mann der filmischen Avantgarde, in seinem Film, der auf der Berlinale lief, als die Quelle seines Glücks bezeichnete.

GMZ

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