Ausgabe 03 - 2001 berliner stadtzeitung
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Finsteres Mittelalter mit Tiefgarage

Glatter Fehlstart des Planwerks Innenstadt am Friedrichswerder

Gegen alle Bedenken und Proteste hat Stadtentwicklungssenator Peter Strieder (SPD) sein Planwerk Innenstadt 1999 durchgeboxt. Jetzt, wo am Friedrichswerder das erste konkrete Bauprojekt nach Planwerksvorgaben entwickelt wird, zeigt sich, dass der Masterplan an seinem eigenen hehren Anspruch scheitert: Statt erschwinglichen und familiengerechten Wohnungsbau in der Innenstadt zu fördern, ermöglicht das Planwerk an der exponierten Stelle neben der Friedrichswerderschen Kirche den Bau ausgesprochener Luxuswohnungen.

In der Ausstellung "Vom Planwerk zum Bauwerk" kann man sich zur Zeit die Ergebnisse des vom Senat durchgeführten Bieterverfahrens für das landeseigene Grundstück gegenüber des Außenministeriums ansehen. 15 Projektentwickler hatten Gebote für den Kauf des Parkplatzes zwischen Friedrichswerderscher Kirche, Kronprinzenpalais und Staatsoper-Magazin eingereicht, je mit einem Architektenentwurf für die Bebauung. Den Zuschlag erhielt der Großinvestor "Hanseatica" mit den Architekten Graetz/Nöfer/Tyrra. Gemäß der Ausschreibung soll das Gelände in einzelne Parzellen aufgeteilt und mit einem 60-prozentigen Wohnanteil bebaut werde. Dabei soll die alte Falkoniergasse reanimiert werden. Das kleinteilige Wohnquartier, das sich links und rechts der Falkoniergasse befand, ist nach Kriegszerstörungen in den sechziger Jahren abgerissen worden.

Delikatessengasse

Nach dem Entwurf von Graetz/Nöfer/ Tyrra soll die äußerst schmale Gasse als Arkadengang wiedererstehen, in der sich Geschäfte und Restaurants ansiedeln sollen. "Die Falkoniergasse eignet sich hervorragend als innerstädtischer Standort für internationale Delikatessen- und Spezialitätengeschäfte", schreiben die Architekten in ihrer Projektbeschreibung. "Eine ausgesuchte Mischung von Köstlichkeiten unterschiedlichster Herkunft, Läden für die qualitativ hochwertige Tagesversorgung und Feinschmeckerrestaurants beleben das Quartier."

Zu beiden Seiten werden für 60 Millionen Mark neun Stadthäuser aufgetürmt, die ein "intimes Quartier" bilden sollen, in dem "bürgerliches Wohnen" stattfindet. Die vielen Gesimse, Loggien und Terrassen zeugen von der nostalgischen Detailverliebtheit der Architekten. Besonders gelobt wurde vom Auswahlgremium des Senats die "wohl-überlegte Anordnung von Innenhöfen". Bei genauerem Hinsehen entpuppen sich die Innenhöfe jedoch als Dachgärten – für die Anlage von Innenhöfen ist das Grundstück mit seinen 2400 Quadratmetern viel zu klein und die Baumasse viel zu groß. Der Begeisterung der Gutachter tut das allerdings keinen Abbruch: "Die unmittelbare Beziehung zwischen Wohnen und Grün ist durch innerstädtische Gärten auf dem ersten Obergeschoss hervorragend gelöst", schwärmt das Gremium unter dem Vorsitz von Senatsbaudirektor Hans Stimmann. "Innerstädtische Gärten auf dem ersten Obergeschoss" – darauf muss man erstmal kommen! Die Architekten beschreiben ihre Grünplanung so: "Der Garten als großzügige Loggia oder Dachgarten ergänzt die Wohnung um das Stück kultivierter Natur, das auch in der Stadt dem Auge des Bewohners das Kommen und Gehen der Jahreszeiten vermittelt und er sich in seinem privaten Grün bewegen kann."

Teure Hinterhoffinsternis

Ob in diesen Gärten jemals etwas wachsen wird, kann bezweifelt werden. Durch die außerordentlich dichte und verwinkelte Bauweise ist die Besonnung extrem schlecht – ein Problem, mit dem alle Teilnehmer am Bieterverfahren zu kämpfen hatten: Ein unterlegener Entwurf versuchte gar, eine ausreichende Besonnung nachzuweisen, indem Sonnenstrahlen eingezeichnet wurden, die von Osten quer durch die Fenster der Friedrichswerderschen Kirche in die dahinterliegenden Wohnungen fallen. Diese zweifelhafte Mittelalter-Idylle wird scharf durch solch profane Dinge wie die zweigeschossige Tiefgarage kontrastiert, die 82 Karossen Unterschlupf bietet.

So edel wie das Quartier werden auch die Preise sein: Dem Vernehmen nach werden die Eigentumswohnungen nicht unter 10000 Mark pro Quadratmeter zu haben sein. Das sind in Berlin bisher ungekannte Dimensionen. Finanzsenator Peter Kurth (CDU) war nicht bereit, die Liegenschaft für weniger als 14000 Mark pro Quadratmeter zu verkaufen. Bei solch hohen Grundstückspreisen lohnen sich nur Gewerbebauten. Das Ziel von Strieders Planwerk, in der Innenstadt bezahlbaren Wohnungsbau zu ermöglichen, um den Wegzug von Familien an den Stadtrand aufzuhalten, steht und fällt mit dem Bodenpreis. Bisher ist es dem Stadtentwicklungssenator kein einziges Mal gelungen, seinen Finanzkollegen davon abzubringen, landeseigene Grundstücke immer zum höchstmöglichen Preis zu verkaufen. Bei der gegenwärtigen Haushaltslage kann sich Kurth das auch nur schwerlich leisten.

Exponierte Lagen überall

Eingestehen will sich Strieder diese Niederlage jedoch nicht. Man habe am Friedrichswerder "ganz bewusst kein politisches Zeichen hinsichtlich des Grundstückspreises gesetzt", weil die Lage so exponiert sei. Der Senat hat als Auslober des Bieterverfahrens den Preis sogar noch hochgetrieben: "Die Verkaufspreise sind für die Marktsituation und die Lage zu niedrig angesetzt", wurde die vorsichtige Kalkulation der "Hanseatica" gerügt, "die ansprechende Architektur rechtfertigt deutlich höhere Erlöse." Erst nach einer Erhöhung des Angebots erhielt "Hanseatica" den Zuschlag. Mitbewerber wie die "Bürgerstadt AG", die die Planwerksphilosophie ernst nahmen, hatten unter diesen Vorzeichen keine Chance. Obwohl die "Bürgerstadt AG" den Verfasser des Planwerks selbst, Dieter Hoffmann-Axthelm, als "städtebaulichen Berater" mit im Boot hatte, landete sie abgeschlagen auf dem letzten Platz.

Die Orte, an denen als nächstes das Planwerk in Bauwerke umgewandelt werden soll – Molkenmarkt, Fischerinsel, Spittelmarkt – sind nicht weinger exponiert als der Friedrichswerder. Man darf gespannt sein, welche Ausrede Peter Strieder finden wird, wenn er auch hier keine niedrigeren Grundstückspreise durchsetzen kann.

Jens Sethmann

"Vom Planwerk zum Bauwerk" in der Senatsbaudirektion, Behrenstraße 42, Mo-Fr 9-18 Uhr, noch bis zum 12. April

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