Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Houellebecq, Techno und Kartharsis

Das Berliner Elektroprojekt E-Men veröffentlicht ein neues Album

Die Volksbühne bringt Houellebecqs Elementarteilchen auf die Bühne und veranstaltet eine Vortragsreihe zu dem Thema „Kapitalismus und Depression". Beides kommentiert der Volksbühnen-Dramaturg Carl Hegemann in der Süddeutschen Zeitung so: „Je offensiver und öffentlicher man sich mit Depression beschäftigt, um so fröhlicher wird man." Diese heilsame Wirkung der Katharsis ist natürlich nicht nur aufs Theater beschränkt. Musik ist, gleichsam wie das Theater, immer schon ein Medium gewesen, mit dem sich dieser Wandel der Seelenlage vollziehen läßt. Das Berliner Projekt E-Men produziert seit ein paar Jahren Techno, der durchaus so etwas wie eine Houellebecqsche Finsternis transportiert. Katharsis sei dank, hinterlassen aber auch E-Men keine schwarze Gemütslage.

Zum Jahreswechsel haben Chris und Eva aka E-Men eine neue EP mit dem Titel Animal Skin produziert. Im Vergleich zu den Vorgängern ist das gleich geblieben, was Eva mit „direktem und authentischem Beat" umschreibt: „Mir geht es schon darum, dass die Leute von unserer Musik direkt angesprungen werden und nicht an der Tanzfläche rumstehen und sich nur überlegen, woher kommt dieser Loop und überhaupt: habe ich heute abend das Richtige an." Ähnlich direkt und unvoreingenommen funktioniert für Eva auch der Prozess des Produzierens: „Ich habe keine feste Vorstellung, was ich machen will, wenn ich die Geräte einschalte. Ein Stück weit ist es einfach eine Interaktion mit den Maschinen." Herauskommen dabei düster schöne Beats, wobei sich E-Men weniger von 80er Synthpop oder aktuellen Electro Acts beeinflusst sehen, als von Bands wie Audio Active und ­ so seltsam das für ein Technoprojekt klingt ­ auch von den Violent Femmes oder Punkbands wie Angry Samoans und den Dead Kennedys. Auf Animal Skin verflüchtigen sich diese düsteren Beats teilweise wie bei Elektrisches Klavier und wandeln sich in eine fast vergnügte housige Grundstimmung. Und trotzdem brodelt es unter der vermeintlich glatten Fassade. Und dann ist Houellebecq auch nicht weit weg: In Elementarteilchen leiden die Halbbrüder Bruno und Michel an einer lebenslangen Verstörung, die keine tiefen Bindungen mehr zuläßt. Manischer Sex statt Liebe oder zumindest statt Joy of Sex. Schuld daran ist die liebesunfähige Mutter, die Houellebecq stellvertretend für die ganze 68er Generation verurteilt. Hauptvorwurf: Egomanie. Ob Houellebecq mit dieser nachgereichten Gesellschaftsanalyse der ´68 richtig liegt, darf durchaus bezweifelt werden. Und so sehen E-Men „Egomanie" auch eher als Triebfeder heutiger Entwicklungen: „Musik ist mehr denn je ein Produkt, es gibt kaum noch politische Aussagen oder Widerständiges. Inhalte interessieren nicht mehr, denn es geht nur noch um Vermarktung und dadurch mutiert alles zur oberflächlichen Ware." Deshalb haben E-Men ihr Label auch korrekt gesprengt genannt, um „in dieser Plastik- Popwelt wenigstens mit einem Bein auf der Erde zu bleiben!"

Marcus Peter

E-Men live an Sylvester im Eimer, Rosenthaler Str. 68

Kontakt: e-men@angelfire.com.

Die ersten beiden 12" sind noch bestellbar beim Berliner EMD-Vertrieb.

Die neue E-Men 12" „Animal Skin" ist ab Januar im gutsortierten Plattenhandel zu erhalten.

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