Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
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Streber der Negation

Volksbühne II: Houllebecqs „Elementarteilchen" zerfallen zu Langeweile mit Seifenschaum

Die Volksbühne macht sich gerne Erfolgsromane zu eigen. Dass es eine Adaption von „Elementarteilchen" von Michel Houellebecq an dem auf Aktualität bedachtem Haus geben musste, war vorauszusehen. Der erste Versuch im März fand nicht statt, aus rechtlichen Gründen wie man sagt. Die Rainald Goetzsche Fassung war nicht autorisiert. Der Roman „Elementarteilchen" tarnt sich als Science Fiction. Rückblickend aus dem Jahr 2029 wird auf die Menschheit geblickt. Mit Hilfe der Genetik hat sie ihr eigenes Aussterben herbeigeführt. Die Geschichte wird nicht in einem Fluß erzählt, sondern besteht aus vielen Versatzstücken, die letzten Endes das Gesamtbild ergeben. Anhand der Biographien einiger Figuren wird die Sinnlosigkeit des Menschen gezeigt und seine Blödheit. Und dass er gar nichts anderes verdient hat.

Aber wie stellt man so einen Roman am Theater dar? Gar nicht, wie sich herausstellt. Denn der Autor Houellebecq hatte etwas zu sagen, auch wenn es nicht allen gefällt. Frank Castorf offenbar wenig, außer dass die Volksbühne sich am Puls der Zeit befindet, obwohl der Dramaturg Carl Hegemann im Programmheft die Aktualität von Theater negiert. Und Negation scheint das Motto zu sein. Als hätte die Regie nur eine Pflichtübung getan, weil man ja schon im März eine Inszenierung angekündigt hatte. Nun haben der Chef und sein Dramaturg sich persönlich ins Zeug gelegt. Gescheitert ist das Projekt trotzdem, ohne Chance.

Es scheint, als hätte Castorf von vornherein im Bewusstsein der Unmöglichkeit des Unterfangens aufgegeben. Am Anfang, in der Mitte und am Schluss ist es lustig. Der Rest ist Langeweile. Die Personen außer Bruno und Michel haben keine Namen. Alle tragen – mit Ausnahmen von Zweien – Nummern auf dem Hemd. Bruno (Herbert Fritsch) die Eins, Michel (Martin Wuttke) die Zwei. Zunächst unterhalten sich die beiden über Huxleys „Brave New World" im Bäumchen-Wechsel-Dich-Verfahren. Platzwechsel gleich Rederecht. Die „Schöne neue Welt" ist die Gesellschaftsform, „die wir alle anstreben". Das gilt zumindest für Michel, der sein Wissenschaftlerleben (ein anderes hat er nicht) damit zubringt, einen genetisch perfekten Menschen zu klonen, der zur „Replikation" keinen Sex mehr braucht. Sein Stiefbruder Bruno dagegen ist vom Sex besessen, hat aber vor dessen Folgen Angst, zum Beispiel Kindern. Darüber sprechen sie vor der ausschließlich aus senfgelben überdimensionierten Turnhallenmatten in verschiedenen Formen bestehenden Bühne. Im Hintergrund eine Kletterwand. Eine Matte ziert die Aufschrift „enjoy". Was eher wie ein Aufschrei wirkt. Vielleicht hat es auch was mit Nirvana zu tun, die an diesem Abend überraschenderweise nicht auftauchen. Dafür einige interessante Versionen der Heroes von David Bowie, vorgetragen von Sir Henry. Was auch immer diese mit dem Stück zu tun haben mögen.

Die beiden unterhalten sich also, bis die Sprache auf die Mutter kommt, woraufhin sie epileptische Anfälle bekommen. Eine Frau taucht auf und spricht übers Älterwerden und ihre bisherige Existenz, scheinbar nur um fragen zu können: „Wollt ihr erst was trinken oder soll ich euch gleich einen blasen?". Dann rennt sie kreischend weg, weil sie statt der versprochenen Drei eine Sieben auf ihrem Hemd hat. Des weiteren treten auf: Ein muskulöser Mann, einer im Prollhemd, eine Frau in rosa und weitere Personen. Es ist völlig gleich, denn Namen bekommen sie nicht, Kostümwechsel werden auf der Bühne vollzogen. Eine französisch sprechende Menschenkugel gibt es ebenfalls zu sehen und die üblichen Nackedeis. Man benutzt ein bereitstehendes Fitnessgerät und eine Sonnenbank.

Nach der Pause sagt Nummer Eins zu Nummer Zwei: „Ja, wie wollen wir das alles jetzt verarbeiten?" und ein wenig später, daß „dieser Abend den Menschen gewidmet" sei. Vielen Dank. Am Schluß balgen sich alle in einem großen Haufen Seifenschaum, der sich von oben einfach so ergießt. Wuttke und Fritsch bekommen einen zweiten Stimmbruch und amüsieren sich prächtig, was dem Publikum nicht vergönnt war. Soll es ja auch nicht immer. Eines haben wir aber wieder gelernt: Originalbuchlesen ist besser.

Ib

„Elementarteilchen"; Volksbühne am Rosa-Luxemburg-Platz, nächste Vorstellungen: 22.12.00 und 5., 9., 13.1.01

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