Ausgabe 12 - 2000 berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Wir brauchen wieder Stuck und Plüsch"

Der soziale Wohnungsbau ist tot. Die Senatsbaudirektion favorisiert das Luxuswohnen

„Wir beschäftigen uns nicht mehr mit Wohnungsbau für sozial Schwache sondern für sozial Starke", postuliert Senatsbaudirektor Hans Stimmann (SPD). Der soziale Wohnungsbau sei mit 100 Wohneinheiten pro Jahr „vernachlässigbar" und es werde ihn auf absehbare Zeit nicht mehr geben. Deshalb lud sich Stimmann die Stararchitekten Helmut Jahn, Hans Kollhoff und Christoph Sattler sowie den Immobilienvermarkter Klaus Groth ins „Stilwerk" ein, um im Rahmen der Reihe „Architekturgespräche" über „Wohnen jenseits des 2. Förderweges" zu diskutieren.

„Es geht nicht mehr um Leute, die die Wohnung zugewiesen bekommen, sondern um die, die ihr sauer verdientes Geld in Wohnen anlegen", so Stimmann. Er meint damit allerdings nicht den Durchschnittsverdiener, sondern Menschen, die sich die Wohnungen in Jahns „Sony-Center", in Kollhoffs „Leibniz-Kolonnaden" oder Sattlers „Tiergarten-Dreieck" kaufen können, also 6000 bis 12000 DM für den Quadratmeter auf den Tisch blättern können.

In einer Bilderschlacht führten die Architekten ihre Vorstellungen von städtischem Wohnen ins Feld. Mit Dias einer Schöneberger Altbauwohnung legte Stimmann die Messlatte vor: 3,80 Meter hohe Räume, große Fenster, viele Erker. Die Eigentümerin, eine Studienrätin, sei keine Millionärin. „Ihr Gehalt liegt wahrscheinlich unterhalb des Durchschnitts der hier Anwesenden", meinte der Senatsbaudirektor, die zahlreich erschienene Zuhörerschaft sah das anders und lachte verschämt.

Mit den üppigen Raumhöhen können die Wohnungen in Jahns „Esplanade-Residence" nicht mithalten: Aus ökonomischen Gründen seien die Zimmer nur 2,62 Meter hoch – „weil Stimmann die Traufhöhe nicht höher setzt", schob Jahn die Schuld zurück. Bei Kollhoffs „Leibniz-Kolonnaden" entspricht die Raumhöhe von nur 2,50 Meter sogar den viel geschmähten Standards des sozialen Wohnungsbaus. Das von Sattler entworfene „Tiergarten-Dreieck" kommt dem großbürgerlichen Altbau-Vorbild am nächsten: repräsentative Eingänge, großzügige Erschließung und ausladende Treppen. „Solch hochwertiges Wohnen ist eine ganz neue Form für Berlin. Wenn man hereinkommt, wird man vom Doorman begrüßt", schwärmt der Architekt.

Immobilienhändler Groth, der auch Sattlers „Tiergarten-Dreieck" vermarktet, kann mit dessen „alten Tugenden" am meisten anfangen. „Wir brauchen wieder Stuck, Plüsch und Atmosphäre", forderte er. „Raumhöhen unter drei Meter brauchen wir gar nicht anzubieten. Die Klientel, von der wir reden, verlangt ein großzügiges Gäste-WC mit Extra-Dusche, Loggien, Säulen, Eckchen."

Kollhoff will „sich an diesem Punkt wieder als Dienstleister sehen", früher sei alles durch die Standards des sozialen Wohnungsbaus vorgegeben gewesen, zudem hätten die Architekten die Neigung gehabt, die Menschen zum Wohnen zu erziehen.

Stimmanns Frage, ob man heute zum Preis einer Altbau-Wohnung einen Neubau mit deren Standard bauen könne, ohne zum Altbau-Fake zu geraten ­ „eklige Rigipswände, Styropor-Stuck und solche Scheußlichkeiten" ­, mochten die Baumeister nicht einmütig beantworten. Kollhoff meinte, es sei theoretisch möglich, es müsse aber „eine massenhafte Nachfrage nach Qualität geben".

Kollhoff fiel zum Schluss die Rolle zu, wenigstens noch rhetorisch zu fragen, was für Leute getan werde, die sich solche Wohnungen nicht leisten können, schob jedoch gleich die Antwort nach: „Es gibt in Berlin ein unglaubliches Angebot an billigen Wohnungen." Ende der Diskussion: Die Wohnbedürfnisse der unteren Einkommensschichten soll der Markt regeln.

Die Architektenschaft verspürt heute offensichtlich keinerlei soziale Verantwortung mehr. Niemand hätte Herrn Kollhoff daran gehindert, sich auch im sozialen Wohnungsbau zu engagieren und sich auch dort als Dienstleister zu sehen ­ auch wenn es anstrengender ist, trotz Beschränkungen gute und bezahlbare Wohnungen zu bauen.

Auch die Senatspolitik sieht angesichts des scheinbar entspannten Wohnungsmarktes keinen Handlungsbedarf. Der Senat hat offensichtlich einfach keine Lust mehr, sich mit dem leidigen Dauerproblem der angemessenen Wohnraumversorgung für alle auseinanderzusetzen, und widmet sich lieber in schöngeistigen Diskussionsrunden der Wohnkultur der neuen Mitte.

Jens Sethmann

© scheinschlag 2001
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 12 - 2000