Ausgabe 11 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Chronik

1990 bis 2000 durch die scheinschlag-Brille

1990

23. November

Der erste scheinschlag erscheint. Die neue Stadtteilzeitung für die Spandauer Vorstadt und Mitte sollte ursprünglich „Steinschlag" heißen - die Räumung der Mainzer Straße bewirkte die kleine Änderung. „Dialog statt Bürgerkrieg" fordern in der ersten Ausgabe die Hausvereine der Spandauer Vorstadt in Solidarität mit den Hausbesetzern. An der Räumung zerbricht kurz vor den ersten gesamtberliner Abgeordnetenhauswahlen die Westberliner rot-grüne Koalition.

1991

Februar

Aus Protest gegen den Golfkrieg erscheint scheinschlag ohne Fotos: „Die Normalität sollte unterbrochen werden."

Mai

Trotz Erhöhung der Ost-Mieten per Regierungsdekret erklärt scheinschlag: „Wir werden jedoch nicht unsere Koffer pakken und Mitte verlassen." Hoffnungsschimmer bleiben in Mitte die „Untersuchungsgebiete 1 bis 6", die einmal Sanierungsgebiete werden könnten. Betroffenenvertretungen gründen sich, die Einmischung der Bürger wird organisiert.

Oktober

scheinschlag erklärt: „Einspruch gegen den Mietbescheid wird zum Volkssport."

November

Das Lenindenkmal wird abgerissen, der gleichnamige Platz in Platz der Vereinten Nationen umbenannt.

Dezember

Das Jugendradio „DT 64" wird abgewickelt - trotz 400000 Unterschriften und einer winterlichen Mahnwache am Alex.

1992

Januar

scheinschlag berichtet über die noch unbekannten Hackeschen Höfe - laut potenziellem Investor „ein verdammt interessantes Gebiet" - Recht hatte er.

Februar

scheinschlag erscheint statt monatlich nun zweiwöchentlich.

In einem Test der Imbisse in Mitte resümiert das Testteam „nach mehrtägiger, risikofreudiger und selbstquälerischer Aufopferung": „Ein scheinschlag in die Magengrube." Testsieger: der Imbiss Moskwa in der Karl-Marx-Allee.

Der erste Artikel zur Frage „Schloss? Palast? Schlosspalast?" erscheint - ein Thema mit langer Laufzeit...

März

Die Nolympia-Bewegung erwacht. Um die Bevölkerung für die Olympia-Bewerbung 2000 zu gewinnen, verspricht der Senat das Blaue vom Himmel.

April

„Leben im Regierungsviertel" - Im Hinblick auf die BVV-Wahlen am 24. Mai organisiert scheinschlag ein „Palaver in der Aula" mit Vertretern der Parteien.

Mai

40 Leute besetzen für einen Tag das leerstehende Haus Kollwitzstraße 89, darunter der Baustadtrat von Prenzlauer Berg, Matthias Klipp. Die Eigentümer wollen das Wohnhaus als Hotel zweckentfremden, was ein Präzedenzfall für die Vertreibung der Bewohner wäre.

Bei der BVV-Wahl in Mitte wird die PDS stärkste Fraktion. Die Parteien einigen sich jedoch auf Gerhard Keil (SPD) als Bürgermeister.

Durch einen Brand werden die Tacheles-Wohnhäuser Oranienburger Straße 52 und 53 schwer beschädigt und 60 Bewohner obdachlos. Auch in der Linienstraße 103 und in der Mulackstraße 20 brennt es am Ende des Monats.

scheinschlag ändert seinen Untertitel, aus „Zeitung für Mitte" wird „Zeitung aus Mitte".

Juni

Der Kampf um die Freigabe des Brandenburger Tores für Autos beginnt.

Trotz Protesten ostdeutscher Frauen wird ein gesamtdeutscher § 218 mit Fristenregelung und Beratung verabschiedet.

Die Kunstaktion „37 Räume" läutet die Vermarktung der Auguststraße als Galerienmeile ein.

Juli

Nach der „2. Grundmietenverordnung" steigen die Mieten im Osten um etwa 2,10 DM/qm. Das Aktionsbündnis „Wir bleiben Alle" bringt 10000 Menschen zur Gegenkundgebung vor das Rote Rathaus. scheinschlag schlägt vor: Ab in die Schließfächer! Für 2 DM die Nacht. Für den Alexanderplatz tauchen die ersten Hochhauspläne auf.

Unter der Überschrift „Verdienen Touristen Prügel?" erscheint erstmals die Kolumne „Nachgefragt". Vorbild Amsterdam: Mit Touristen-verprügel-Aktionen haben dort Einheimische die Olympia-Bewerbung verhindert.

1993

Februar

Die Werner-Seelenbinder-Halle fällt für den Bau der neuen Schwimm- und Radsporthallen. Gelbe Bärchen zieren Flaggen und BVG-Busse, doch auch am Grillspieß Häuserwände - die Anti-Olympia-Bewegung gewinnt an Fahrt.

März

Die Redaktion zieht „rekonstruktionsgezwungenermaßen" aus der Steinstraße in den ehemaligen Lebensmittel-Konsum Tucholsky-/Ecke Auguststraße.

April

Der Abriss des Ahornblattes für eine fünf- bis sechsgeschossige Blockrandbebauung scheint schon beschlossen. Mit „Wohin in Berlin" erscheint eine Veranstaltungsbeilage im scheinschlag.

Mai

Proteste gegen die Öffnung des Gleim-Tunnels für den Autoverkehr. Die Anwohner fürchten eine Rennstrecke zwischen Prenzlauer Berg und Wedding. Lange Gesichter gab es bei der Vorstellung der Wettbewerbsbeiträge zur Umgestaltung des Alexanderplatzes: wolkige Hochhäuser überall.

Juni

scheinschlag druckt die Beilage „nolympia express" der Anti-Olympia-Bewegung.

August

„Sanierung in Mitte" erscheint erstmals als Doppelseite im scheinschlag. Noch vor der Festsetzung der Sanierungsgebiete beginnt scheinschlag mit der Berichterstattung über das Baugeschehen in den drei Untersuchungsgebieten Spandauer Vorstadt, Südliche Brunnenstraße und Nördliche Luisenstadt.

September

Olympia 2000 geht an Sydney.

Hans Kollhoffs Entwurf für den Alex mit 13 neuen Hochhäusern wird bestätigt. Immerhin: Die Weltzeituhr könnte bleiben.

Oktober

Die Wagenburg Engelbecken wird geräumt. Die Bewohner kampieren hungerstreikend auf dem Marx-Engels-Forum.

1994

Januar

Die Redaktion zieht ins Hinterhaus der Brunnenstraße 24 um.

März

Die erste Kolumne „Berlin 1894" berichtet über die Sprengung von Schinkels altem Berliner Dom vor einhundert Jahren.

Einen Leser R. Zürnt empören die Bürgerbeteiligungsunterlagen zum Bebauungsplan am Potsdamer Platz. Dort heißt es: „Eine unterirdische private Erschiessungsanlage (sic!) für die gesamte Bebauung soll ermöglicht werden."

Juni

Die Kultur- und Veranstaltungsbeilage wird eingestellt. Dafür erscheint „Sanierung in Mitte" nun als monatliche Beilage für die beiden Sanierungsgebiete Spandauer Vorstadt und Rosenthaler Vorstadt (Südliche Brunnenstraße).

Juli

Dem Schokoladen in der Ackerstraße 169/170 wird zum 30. Juli der Mietvertrag gekündigt. Es heißt, der Eigentümer wolle das Haus leergezogen weiterverkaufen. Ausgezogen ist bisher nur die Comicbibliothek. In das nun leere Ladengeschäft im Erdgeschoss zieht im August die scheinschlag-Redaktion ein. Die Gitter vor den Fenstern lassen sich glücklicherweise nicht hochziehen, so dass das Fensterputzen entfällt. Bis heute.

September

Die WIP lenkt ein: Wer nicht zwangsverkabelt werden und monatlich 14,50 DM zahlen möchte, kann sich den Anschluss verplomben lassen.

Für die unbenannte Freifläche rund um den Fernsehturm wird ein Name gesucht. „Hans-Stimmann-Restgrünfläche"?

November

Am symbolträchtigen 9. November wird die restaurierte Oberbaumbrücke feierlich für den Autoverkehr freigegeben. „Störer" werden von der Polizei rabiat zurückgedrängt, damit die Autos sich ohne Zeitverzögerung auf Skalitzer und Warschauer Straße stauen können.

1995

Januar

scheinschlag enttarnt Johann Wolfgang Goethe als „IM Geheimrat". In Weimar überwachte er Studenten, schrieb fleißig Berichte an die Regierung und zensierte Schriften. Anders als Lutz Bertram tat dies Goethes Karriere keinen Abbruch.

März

„Wir wollen baden - vor 2000!", fordert der Verein Entweder-Oderberger und legt ein Konzept für die Wiedereröffnung des Stadtbades Oderberger Straße vor (- bislang ohne Erfolg...).

April

Die Walpurgisnacht-Feier auf dem Kollwitzplatz wird von der Polizei gewaltsam aufgelöst. Nach gegenseitigen Provokationen steht der 30. April in den Folgejahren im Krawallterminkalender.

Mai

Das Bezirksamt Mitte entzieht der Baustadträtin Dorothee Dubrau (Bündnis Mitte) wichtige Amtskompetenzen. Ihr wird Investorenfeindlichkeit vorgeworfen, da sie auf dem Denkmalschutz der alten Höffnerschen Möbelfabrik in der Invalidenstraße beharrt. In Dubraus Abwesenheit erteilt Bürgermeister Keil einen Bauvorbescheid, der dem Investor den Abriss verspricht (der 1997 erfolgt).

Juli

Das denkmalgeschützte Haus Mauerstraße 15, für dessen Erhalt sich Dubrau einsetzte, wird abgerissen.

Das Aktionsbündnis „Atolle bleiben auch" fordert die BVV Mitte auf, die Französische Straße in Mururoastraße umzubenennen.

September

Baubeginn für den Tiergartentunnel.

November

Ab dem fünfjährigen Jubiläum erscheint scheinschlag statt als „Zeitung aus Mitte" als „Zeitung für die Berliner Innenstadt".

Dezember

Das besetzte Haus Schliemannstraße 10 brennt ab, zwei Bewohner sterben. Die obdachlos Gewordenen kampieren wochenlang auf dem Helmholtzplatz.

1996

Februar

Im leerstehenden Palast der Republik haben sich Fledermäuse eingenistet, die von der Sanierung aus den Altbaugebieten vertrieben werden. Diese von scheinschlag über ADN lancierte Falschmeldung wurde von der gesamten Presselandschaft ohne Prüfung freudig übernommen und ausgeschlachtet.

Juni

Mittes CDU-Bürgermeister Joachim Zeller sagt im scheinschlag: „Die Bezirksfusion würde ein Riesenchaos geben."

Juli

Die Wagenburg an der East-Side-Gallery wird geräumt. Das Stadtforum von unten sammelt Unterschriften: „Berlin braucht seine Wagenburgen".

September

Auch für die Kulturbrauerei Prenzlauer Berg wird ein Multiplex-Kino geplant. Eine gigantische Kino-Überkapazität droht.

November

Im Palast der Republik tauchen Marderspuren auf. (Wirklich!)

Dezember

Das Planwerk Innenstadt des Senats gelangt vorzeitig an die Öffentlichkeit. Es stülpt der Stadt ein antiquiertes Stadtbild über und beantwortet dankenswert deutlich, wer die Stadtentwicklung bestimmt: die Senatsverwaltung, nicht etwa die Bezirke oder gar die Bewohner. scheinschlag entwickelt einen eigenen Hauptstadt-Bastelbogen und publiziert mit der taz die planwerkskritische Beilage „stadt.plan.mitte", die bis heute nachgefragt wird.

1997

März

Ewiger Krampf um das Tacheles: Aus „Die Ideale sind ruiniert. Rettet die Ruine!" ist „Die Idee scheint auf den Hund gekommen. Rettet den Hund!" geworden.

Juni

Zu den „Innenstadtaktionstagen gegen Privatisierung, Sicherheitswahn und Ausgrenzung" erscheint im scheinschlag ein Stadtplan mit Bannkreisen, Sicherheitsbereichen und den polizeiinternen „gefährlichen Orten", an denen verdachtsunabhängig kontrolliert werden kann.

September

scheinschlag heißt nun im Untertitel „Berliner Stadtzeitung".

Oktober

Die einmalige „Gestalterausgabe" gibt den Layoutern alle denkbaren Freiheiten. Kopfstehende Texte und ein unlesbarer Titelschriftzug spalten Autoren und Leser in unversöhnliche Gegner und Liebhaber.

November

Stadtentwicklungs-Staatssekretär Stimmann kreiert eine neue Spezies: Der eigentumsbildende „Urbanit" soll die Planwerksfantasie in der Innenstadt bevölkern. Die New York-Kopierwut kommt auf dem Höhepunkt an: Das Zero-Tolerance-Konzept des gescheiterten New Yorker Polizeichefs wird in Berlin begierig aufgesogen.

Dezember

Mit der Eröffnung des Café Westphal-Nachfolgelokals ist die Kneipenszene am Kollwitzplatz restlos yuppiefiziert.

1998

Januar

Das „Manifest der Glücklichen Arbeitslosen" wird diskutiert. Ist Arbeitslosigkeit nur ein Problem der Geldlosigkeit? Kann man ohne Arbeit glücklicher sein?

April

Der Senat beschließt die Bezirksreform: Aus 23 sollen 12 Bezirke werden. Mitte wird mit Tiergarten und Wedding zusammengelegt. Von größeren Bezirkskompetenzen ist immer weniger die Rede.

August

Nachdem im „Sozialstrukturatlas" festgestellt wurde, dass sich soziale Problemlagen in bestimmten Bezirken ballen, zieht der Senat das Konzept „Quartiersmanagement" aus dem Hut. Wie in Hamburg soll durch „Empowerment" der „Turnaround" geschafft werden.

Oktober

Bei der Eröffnung des Potsdamer Platzes spielt das Polizeiorchester die Derrick-Melodie. Ein enttäuschter Besucher: „Sowas gibt's im Wedding auch."

1999

Januar

scheinschlag erscheint fortan monatlich.

März

Ein Steglitzer Unternehmer ersteigert für 8000 Mark die Würde, einen Tag lang Bürgermeister von Kreuzberg zu sein.

Mai

Das Planwerk Innenstadt wird - nach langen Diskussionen - vom Senat weitgehend unverändert beschlossen.

August

Nach dem Lustgarten erhält nun auch der Schlossplatz frischen Rollrasen, damit der Kanzler keinen so tristen Blick aus seinem Übergangsdomizil Staatsratsgebäude ertragen muss. Die Rasenflächen von Plätzen und Parks wirken indes sehr verdorrt.

Zum fünften Mal fällt eine Glasscheibe aus der Fassade des Kaufhauses „Galeries Lafayette" auf den Bürgersteig.

September

Der Hochhaus-Bebauungsplan für den Alex wird trotz Einsprüchen der Bevölkerung fast unverändert festgesetzt.

November

scheinschlag druckt einen Brief von Olaf Staps, in dem er begründet, warum er als letzter Bewohner der Grünberger Straße 52 nach langen Querelen mit dem Hauseigentümer „in Notwehr" Feuer legte. Die Veröffentlichung war heftig umstritten und hatte ungeahnte Folgen...

2000

Januar

Olaf Staps droht, die Liebknecht-Luxemburg-Gedenkdemonstration mit Handgranaten anzugreifen. Die Veranstaltung wird abgesagt und eine Woche später unter höchsten Sicherheitsvorkehrungen wiederholt. Die scheinschlag-Redaktion bekommt Besuch vom Staatsschutz.

April

Das Off-Kulturhaus ACUD fühlt sich vom Makler Matthias Teuffel von Birkensee betrogen. Nach langem Sammeln reicht das Geld fast zum Kauf des Hauses in der Veteranenstraße, doch der Makler veräußert die Immobilie an Unbekannt.

August

Abriss des Ahornblattes. Zum 50. Jahrestages der Stadtschloss-Sprengung fordert der „Förderverein Wiederaufbau des Ahornblattes" die sofortige Neuerrichtung des Gaststättengebäudes.

November

scheinschlag feiert sein zehnjähriges Jubiläum mit einer Sonderausgabe.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 11 - 2000