Ausgabe 11 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Leinenjacketts statt Lederjacken

von Klaus Schlesinger

Eigentlich wollte Klaus Schlesinger für die scheinschlag-Jubiläumsausgabe einen Text über das „Kaffee Burger" schreiben. Aufgrund einer langwierigen Erkrankung kam es nicht dazu.

Da er trotzdem etwas beisteuern wollte, schlug er einen Nachdruck vor. Ausgewählt wurde die Passage aus dem Text „Brief danach" in „Fliegender Wechsel. Eine persönliche Chronik") Teilauflage Hinstorff Rostock; S. Fischer Verlag, Frankfurt/Main, 1990, S.283ff.) Der „Brief danach" ist auf den Mai 1990 datiert. Der Auszug beginnt

mit einem Bezug auf die Zeit um 1984.

Klaus Schlesinger lebte von 1979 bis 1990 in Westberlin, davon einige Zeit in einem besetzten Haus.

(...)

Irgendwann, vor vier, fünf Jahren, hat, glaube ich, die Zukunft einen Fuß in die Tür des Hauses gestellt und einen gewaltigen, das Oberste zuunterst kehrenden Sturm hineingelassen. Die einen nannten ihn Zeitgeist, die anderen Restauration. Wieder andere sprachen von der weltverändernden Kraft der Mikroprozessoren, die nächsten vom postindustriellen Zeitalter.

Wie dem auch sei, als er sich gelegt hatte, war
alles anders. Plötzlich redete die Werbung so, wie vorher nur die Subkultur. Plötzlich tauchten in den Zeitungen Begriffe auf, die wir alle längst erledigt glaubten. Plötzlich verschwand einer, den wir noch aus der Zeit der Straßenschlachten kannten, als habe ihn die Erde verschluckt, aber entgegen unserer Vermutung, er sei in den Untergrund getaucht, war er nur für zwei Monate in einen Computer versunken.

Für meinen Teil datiere ich den Beginn des neuen Jahrhunderts in das Frühjahr fünfundachtzig. Da kam ich, kurz nach meiner Kreuzberger Episode, in die Anarchistenkneipe meiner Charlottenburger Zeit und traf unter der Kastanie im Vorgarten statt des verschworenen wilden Haufens eine lockere Gesellschaft in heller Baumwolle und weiten, weichen Hosen. Ich glaubte erst, die Kundschaft habe gewechselt, doch es waren die gleichen Leute, nur daß sie statt Bier Sekt tranken, statt Lederjacken Leinenjacketts trugen, und statt um die subversive Aktion drehten sich die Gespräche um Geld.

Ich rief Ulrike an, und sie war gleich bereit, sich mit mir zu treffen. Ich hatte sie kennengelernt als eine junge Frau in Parka, Jeans und langen, glatten Haaren. Als sie nun, vier Wochen nach unserer Trennung, vor mir stand, glaubte ich, meinen Augen nicht zu trauen. Sie war frisiert, trug ein Seidenhemd auf bloßer Haut, und die Farbe ihrer Lippen, ein mildes Karminrot, war gleich der ihrer Ohrclips und halbhohen Pumps. Doch, sie war wunderschön, aber sie war eine andere Frau.

In den USA, wo ja alles zwei Jahre früher beginnt, hat mich unsere Kollegin Plessen zu einem Werbefachmann mitgenommen, der den Amerikanern mit großem Erfolg westdeutsche Autos und Kräuterliköre verkaufte und der unser Gespräch über die Schwierigkeiten beim Schreiben von Büchern mit einer nachsichtigen Ironie begleitete. Literatur... ? Ein Anachronismus. Die Menschen der kommenden Generation würden nicht fähig sein, auch nur einen Satz zu verstehen, der mehr enthalte als Subjekt, Objekt und Prädikat. Es gebe nur eine Zukunft: die Bilder.

Einige Jahre später mußte ich an ihn denken. Ich saß einem gewieften Produzenten gegenüber, der mir meine Stoffangebote mit Respekt, aber großem Bedauern zurückreichte. Was heute gebraucht werde, sei crime, comedy, action, sagte er, am besten als Serie mit kräftigen, konturenklaren Figuren, nicht immer diese Zweifler, diese zerissenen Menschen, diese Aussteiger mit ihren Brüchen und Lustlosigkeiten. - Er verzog das Gesicht, als ekele er sich förmlich, und es hellte sich erst wieder auf, als er seine Vorstellung zu präzisieren begann. Erraten Sie, welche es war? Es war die vom positiven Helden.

Sie wissen, ich finanziere die Schreiberei mit dem Verkauf meiner Stoffe an das Fernsehen, und es gab eine Zeit, da waren sie das, was die Produzenten eine Bank nannten. Erinnern Sie sich noch meiner kleinen Geschichte von den beiden alten Männern, die auf so fröhlich tragische Weise an den Gesetzen der Geldwirtschaft scheiterten? Noch nie hatte ich so viele Angebote von Regisseuren und Produzenten, den Stoff zu verfilmen. Und noch nie stieß ich in den Redaktionsstuben auf so kühle Ablehnung.

Daß mir ein Redakteur, der siebzehn Jahre im Fernsehen des Ländchens gedient hatte und jetzt in Köln gelandet war, den Stoff mit Argumenten zurückgab, die er, im Vergleichsfall, auch in Berlin-Adlershof benutzt hätte, konnte ich noch in der Schublade Konvergenz der Systeme ablegen.

Auch daß ein Regisseur, der sich in einer großen Fernsehanstalt für die Geschichte einsetzte, mit der Botschaft zu mir kam, der Stoff sei zu realisieren, wenn der Autor ihr eine versöhnlichere Wendung gebe und wenn er den Tatbestand der Hausbesetzung, auf dem der komödiantische Einfall beruhte, als einen ungesetzlichen Akt darstelle, lag noch im Bereich persönlicher Meinung.

Aber daß, in welcher der vielen Redaktionen ich es versuchte, die Ablehnung der Geschichte bereits festzustehen schien, verblüffte mich doch. Die haben im Westen doch gar kein Zentralkomitee! - Nein, aber sie haben eine Programmkommission.

Damals machte das Wort von der Analphabetisierung der Völker durch das Fernsehen die Runde. Je mehr wir wissen mußten, um die Zusammenhänge zu verstehen, desto kürzer wurden die Wortbeiträge. Je näher die Katastrophe rückte, desto mehr hatten wir vor dem Bildschirm zu lachen.

Warum ich von Katastrophe spreche, da die große Konfrontation, der vierzig Jahre dauernde Kalte Krieg, zu Ende geht? - Die Katastrophe hat, meine ich, viele Gesichter. Natürlich ist auch mir warm ums Herz geworden, als sich der Schauspieler aus Kalifornien und der Moskauer Idealist mit der machtbewußten Kinnpartie endlich in Frieden trafen. Aber als ich dann das Foto der beiden in der Zeitung sah, hatte ich unwillkürlich die Vorstellung einer Comiczeichnung, auf der sich zwei Männer grinsend die Hände schüttelten, und in der Sprechblase über ihren Köpfen stand geschrieben: Plündern wir doch den Laden gemeinsam?

Sehen Sie mir diese Geschmacklosigkeit nach. Ich habe Grund zum Sarkasmus, denn in jenen Jahren habe ich die Allgegenwart des inneren Zensors ein zweites Mal erfahren und habe gelernt, daß seine Gefahr weniger davon ausgeht, einen nicht verkaufbaren Einfall schon in Gedanken zu streichen, als davon, daß er erst gar nicht erst entsteht. Sie werden es vielleicht für übertrieben halten, aber ich habe mich tatsächlich geistig so eingeengt gefühlt wie nur in der Zeit Ulbrichts, nach dem 11. Plenum. Meine ohnmächtigen Flüche müssen selbst den Lärm auf der Potsdamer Straße übertönt haben, und es dauerte bis zum Anfang des vorigen Jahres, daß ich, noch im Zustand heftigen inneren Widerstandes, einen - Sie ahnen es? - Serieneinfall hatte.

Seitdem trage ich auch wieder einen Sakko -

(...)

Klaus Schlesinger ist Schriftsteller (u.a. „Alte Filme", „Matulla und Busch", „Michael") und lebt in Berlin. Nach seinem Ausschluß aus dem DDR-Schriftstellerverband 1979 siedelte der Autor nach Westberlin über, behielt aber seinen DDR-Paß.

Seit 1990 lebt Schlesinger wieder in Mitte.

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