Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
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Sissi rules: Eine Liebe in Wuppertal

Der Krieger und die Kaiserin von Tom Tykwer

Wenn man sich mit einem einzigen Film gleich den doppelten Status eines Erfolgs- und Kultregisseurs einhandelt, sind die Erwartungen an das Nachfolgewerk entsprechend hoch. Diesem Problem muss sich nun Tom Tykwer stellen, der zwei Jahre nach seinem Mega-Erfolg "Lola rennt" seinen neuen Film "Der Krieger und die Kaiserin" ins Rennen schickt. Die Gewohnheitsmenschen unter den Zuschauern werden sich freuen, dass auch in diesem Film viel gerannt wird und Franka Potente erneut die Hauptrolle spielt.

Doch genug der "Lola"-Parallelen. Wie der Titel erahnen lässt, kommt dieser Film wie ein modernes Märchen daher. So heißt unsere Heldin, in Anlehnung an ihr großes Vorbild jenseits der Alpen, auch Sissi, arbeitet aber als treusorgende Krankenschwester in einem Wuppertaler Behindertenheim. Sie selbst besitzt wenig, wird dafür aber von ihren männlichen Patienten umso mehr als Eigentum betrachtet. Die nennen sie zärtlich "ihr Mädchen" und sie erweist ihnen dafür den einen oder anderen außerprotokollarischen Liebesdienst. Der "Krieger" (Benno Fürmann) dagegen heißt Bodo, rennt gerne und oft, meist in Militärklamotten, vor Tankstellenbesitzern davon, auf deren Einrichtungen er mysteriöse Anschläge verübt. Er bewohnt mit seinem Bruder (Joachim Kr—l) eine abgelegene Bruchbude und macht einen verstörten Eindruck. Eines Tages landet Sissi bei einem Verkehrsunfall, dem Erstickungs-tod nahe, unter einem Lastwagen. Auftritt des Kriegers, der wieder einmal flüchtet, unter den LKW robbt und der Dame, bevor er sich erneut davonmacht, galant das Leben rettet, indem er ihr in "E.R."- Manier mit dem Taschenmesser die Luftröhre freischneidet. Die dankbare Sissi will ihren Retter unbedingt wiederfindenÉ

Ähnlich wie die permanenten physischen Kraftakte seines männlichen Helden wirkt auch der Film vor allem angestrengt. Ermüdet und seltsam gleichgültig verfolgt man auch als Zuschauer das Schicksal der Protagonisten. Der vorhersehbare Krimisubplot vermag ebensowenig zu fesseln, wie die zähe Liebesgeschichte, in der mangels sprü-hender Funken zwischen dem Darstellerpaar auch keine solchen auf das Publikum überspringen können. Schuld daran ist vor allem die aufgesetzte, lückenhafte Psychologie der Figur des Kriegers. Bodos nicht vertiefter militärischer Hintergrund etwa hat keinen spürbaren Einfluss auf die Geschichte und verkommt zu einem (nicht einmal sonderlich dekorativen) Beiwerk. Die Faszination des spröden, abweisenden Kriegers auf die anrührend geschilderte Sissi ist kaum nachvollziehbar. Nur in seiner Beobachtung des abgeschiedenen Klinik-Universums berührt der Film. So entwickeln die scheinbar Wehrlosen ungeahnte Kräfte und können ihrer hektischen Umwelt mit List Teilerfolge abtrotzen.

Schwindelerregend gefilmte Kamerafahrten führen uns von Sissis langsamer (Heim-)Welt abrupt in das wirre Straßengetümmel des Kriegers. Doch leider verliert sich Tykwers mitunter virtuose Regie in ihren eigenen Effekten und kann die magere Story und den Film in seiner Gesamtheit nicht retten. Das Märchen verzaubert nicht und seine nach zwei Stunden endlich ausgetriebenen Dämonen konnten dem Zuschauer ohnehin nichts anhaben.

Kira Taszman

Der Krieger und die Kaiserin
D 2000. Regie: Tom Tykwer. Mit: Franka Potente, Benno Fürmann, Joachim Kr—l, Lars Rudolph u.a.
Kinostart: 12. Oktober 2000

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