Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Remixe sind das orginäre Jagd- und Wildergebiet von DJ«s. Sounds ausgraben, mit einem anderem Beat unterlegen, Samples cutten und in einen neuen Zusammenhang stellen, Übergänge basteln und dabei immer von der einen Idee leiten lassen: Groove.

Ein unbestrittener Großmeister seines Fachs ist George Evelyn, der als Nightmares On Wax 1995 mit Smokers Delight einen der coolsten Loungeklangkörper jenes Jahres entwickelt hat. Dass so jemand gut in die DJ-Kicks-Galerie (Stud!o K7) passt, leuchtet ein. Wie bereits Kruder&Dorfmeister, Nicolette oder auch Stereo MC«s, um nur einige zu nennen, bastelt auch George Evelyn an einer atmosphärischen Gesamterscheinung. Erstaunlich ist, wie er es schafft, aus so verschiedenen Elementen wie Funk, Jazz, Downbeat, Latin und fettem HipHop ein geschlossenes Album zusammen zu schweißen. Dabei sind seine Vorlagen keinesfalls in dem üblichen Mainstreamkontext eingebunden, sondern finden sich eher an den Rändern des jeweiligen musikalischen Reviers. Also auch von daher ist dieses DJ-Kicks Album eine Endtdeckungsreise.

Vor Jahren war Stefan Kozella ein Teil des Hamburger HipHop-Projekts Fischmob. Inzwischen hat er sich unter dem zärtlichen Pseudonym DJ Koze verselbständigt. Anders als Evelyn verschmilzt er auf Music is okay (Yo Mama) nicht ganze Universen, sondern bedient sich weitestgehend aus dem Pop-Punk-HipHop-Archiv der Hamburger Speicherstadt. Projekte an denen er selbst beteiligt war und die von befreundeten Bands kommen damit noch einmal unter das Skalpell des Samplers- oder werden zur Behandlung an die Rhythmusmaschine überwiesen. Einzige Ausnahme in diesem Hamburger Heimspiel ist der wundervolle Remix der Rah Band. Das ist diese Geschichte von der Frau, die via Operator ihren in einem Raumschiff am Rande der Galaxie kämpfenden Mann zu erreichen sucht und schmachtend ihre Einsamkeit und Sehnsucht nach körperliche Nähe gesteht und in den Achtzigern ob ihres Hörspielcharakters so bemerkenswert erschien.

Aber wo genau liegt die Orginalität in den Remixen von Herrn Kozella? Es steht zu befürchten: in deren Einfachheit. Wie in dem Blumfeld -Remix Tausend Tränen Tief, passiert außer dem Pitchen der Stimme von Jochen Distelmeyer und dem Hinterlegen eines Technobeats gar nichts. Und trotzdem: das Ganze funktioniert. Vielleicht ist eine Erklärung ja auch die Nähe zu den Musikern, aus der sich ein ganz spezielles Verständnis für deren Ideen ergeben mag.

Das all das natürlich nicht so ganz neu ist und die Vorläufer in einer fünfzig Jahren alten Avantgardebewegungen liegen, führt Pierre Henry eindrucksvoll vor Augen bzw. vor die Ohren. Bereits 1950 ließ er "konkrete Geräusche"- gefundenes Soundmaterial und spontan produziertes- in seine Kompositionen einfließen. Vor allem mit Pierre Schaeffer aber auch mit Karl-Heinz Stockhausen entwickelte er die Musique-ConcrŽte- und damit die Uridee des Samplings. Inzwischen geraten die Stücke von Henry selber in die Collagen heutiger DJ- und Elektronikhelden wie in die von Fatboy Slim, Coldcut oder eben auch in die von DJ Koze. Dass dabei nicht nur reiner Ohrenschmaus herauskommen muss, beweist sein Remix Sa Dixieme Symphonie (Universal Classic): Strukturanalyse und Dekonstruktion heißen die Werkzeuge und kompromissloses Sampling die Methode, mit dem Henry den guten alten von Beethoven zur Attacke gegen friedvolle und eingeschlafene Hörgewohnheiten nutzt.

Marcus Peter

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