Ausgabe 09 - 2000berliner stadtzeitung
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Dicht daneben

Eine Wohnung auf dem Potsdamer Platz ist Symbol für Glück und Geld. Genau das will der Geschäftsmann AndrŽ Schenk, der "die Nähe des Erfolgs" sucht.

"Schauen Sie mal her, das Bad ist sehr exklusiv: Marmorfliesen, nur edles Material." Die Maklerin tippelt übers Parkett, öffnet die Balkontür. "Ein herrlicher Ausblick!" AndrŽ Schenk, 43 Jahre, ledig, streicht sich über die gegelten Haare, schreitet das Wohnzimmer ab. Sein dunkler Anzug gibt ihm Eleganz, ein Herrenduft steht im Raum. Nur die dunkelbraunen Schuhe aus Stanzleder passen nicht ganz dazu. Er blickt durchs Fenster, schaut auf Passanten, die zur Einkaufspassage strömen. Er betrachtet die Einbauküche. Mit Geschirrspüler. 1400 Mark Kaltmiete für 55 Quadratmeter- das kosten anderthalb Räume auf dem Potsdamer Platz.

"Hier wohnen viele Beamte, Journalisten und die Familien von Botschaftern", sagt die Maklerin. Die Wohnungen seien gut ausgestattet, und: "Viele ziehen gern in eine komplett neue Wohnung, neue Badewanne, neue Küche. Das ist eine Emotionsgeschichte." Der Potsdamer Platz biete Luxus zu einem günstigen Preis.

"In meinem Alter versuche ich, das Abenteuer mit Bequemlichkeit zu verbinden", sagt Schenk. Am Potsdamer Platz hätte er das, was er brauche, auf engem Raum. "Ich bin ein Stadtmensch, ich muss mitten in der Stadt leben." Die Architekten hätten gute Arbeit geleistet: Die Wohnungen seien sehr praktisch geschnitten, so dass man jede Fläche optimal nutzen könne. So sinke im Prinzip auch die Quadratmeter-Miete, sagt Schenk. Sie liegt bei 20 Mark kalt. Von den Wohnungen gebe es sowohl Ausblicke ins Grüne als auch futuristische Ansichten mit viel Stahl und Glas. Schenk mag eher das Grüne. Das werde am Potsdamer Platz sehr gepflegt. "Da sieht man kein einziges gelbes Blatt." Sein Traum ist ein Bad mit weitem Blick über Berlin, auf den Gendarmenmarkt, die Leipziger Straße und zum Fernsehturm. "Ich melde mich bei Ihnen", sagt er zur Maklerin.

Es gebe viel bessere Wohnungen am Potsdamer Platz, sagt Schenk. Diese sei dagegen sehr bescheiden gewesen. Sir Norman Foster, der Reichstags-Architekt, habe welche mit schrägen Glaswänden entworfen, in denen sich der Sonnenschutz automatisch öffnet und schließt. Weitläufige Appartements habe Schenk gesehen, mit über 200 Quadratmetern und großzügigen Außenterrassen.

AndrŽ Schenk wohnt in Kreuzberg. In einem Sozialbau am Hafenplatz, ein Zimmer, Küche und Bad, für fünfhundert Mark. Aus seinem Fenster blickt er direkt auf den zweihundert Meter entfernten Potsdamer Platz, schaut in eine neue, eine andere Welt. Schon seit einem Jahr besichtigt er dort Wohnungen. Er hat inzwischen mehr als zehn gesehen.

Sein Gesicht durchziehen mehr Falten, als man es für sein Alter erwartet. Die kleinen braunen Augen strahlen eine kühle Leere aus. Die Geschäfte liefen zurzeit nicht so gut, sagt er. Er arbeitete als "Gastronomie-Manager" und suchte für eine Plakatagentur geeignete Werbeflächen in der Berliner Innenstadt. Außerdem hat er ein Konzept für eine Einkaufspassage in der Landsberger Allee in der Schublade. Er stellte sie schon der ECE-Firmengruppe vor, die große Einkaufszentren betreibt: einige Blätter im orangefarbenen Plastikhefter.

Das Schlimmste am Menschen sei die unendliche Gier, sagt er plötzlich. Ein Löwe lege sich stattdessen in die Sonne, wenn er satt sei. Die Welt bestehe nur aus Geldmachen und Kommerz. Das sei unmenschlich. "Aber", so sagt er, "man kann nur in die Spendierhosen fassen, wenn auch etwas in den Taschen ist". Seine ursprüngliche Abneigung gegenüber dem Potsdamer Platz, "der Präsentation von Großkonzernen", habe sich in ein "harmonisches Verhältnis zu dessen Exklusivität" gewandelt. Wenn Luxus abgelehnt werde, geschehe dies auch oft aus Neid. Der Potsdamer Platz sei ein Aushängeschild mit beispielhaftem Management, man müsse dies positiv sehen. Und man dürfe sich nicht den Kopf über die Nachteile einer Veränderung zerbrechen, sondern müsse die Vorteile nutzen. Viele Menschen hätten es sich gut eingerichtet am Potsdamer Platz, er sei zu einem Teil ihrer Realität geworden. Besucher und Bewohner würden ihn für sich entdecken, er habe in vielen Menschen eine große Neugier geweckt, die diese nun befriedigten.

Auf Schenks Tisch liegen Fotos, blasse Farbabzüge der Skyline über dem Potsdamer Platz, der Blick aus seinem Fenster. Über den Bauten aus Beton und Glas steht ein flammend roter Abendhimmel. Immer wieder schaut er darauf. Auf der Fensterbank stehen Blumen, daneben ein Bild von seinem Sohn. Die Ehe wurde vor zehn Jahren geschieden, Schenk lebt allein. Wenn sein Sohn ihn besucht, will er mit ihm ins Kino gehen. "Da kann ich aussuchen zwischen dem Mercedes-Imax, dem Sony-Imax und dem Cinemaxx." So etwas gebe es doch nur dort drüben.

Schenk macht gerade eine Arbeitsamts-Umschulung zum Multimedia-Designer. Jetzt will er versuchen, etwas aufzubauen "mit Leuten, die Webseiten ins Netz stellen". Doch er befürchtet, nach dem Lehrgang nur Jobs zu bekommen, in denen er ausgenutzt werde. Und so entwickelte er seine eigene Strategie. "Wer zu Erfolg kommen will, muss sich in dessen Nähe begeben", sagt Schenk. "Ein Umfeld mit hohem Level zieht dich hoch, ein schlechtes zieht dich runter." Deshalb will Schenk zum Potsdamer Platz. "Sie werden sehen, in einigen Wochen wohne ich da." Übermorgen wird er sich die nächste Wohnung ansehen. "Eine Bekannte von dort erzählte mir, dass in ihrer Nachbarschaft bald etwas frei wird."

Schenks Blumen sind kaum zu erkennen inmitten der vielen Fenster des zehnstöckigen, wuchtigen Baus am Hafenplatz. Vor dem Ausgang trifft sich eine Mädchenbande. Eine hat Lippenstift und Schminkspiegel mitgebracht. Gemeinsam üben sie den richtigen Schwung, üben die Kunst der Täuschung.

Christian Domnitz

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