Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Neuköllner Schüler durften dieses Jahr wieder Ferien machen

Kleiner Erfolg von Sozialhilfebeziehern

Seit Jahren war es in Neukölln Praxis, Schülern, die das 18. Lebensjahr vollendet haben, während der sechs Wochen Sommerferien die Sozialhife zu streichen. Die Schüler wurden darüber in einem Merkblatt informiert: "Für volljährige Schüler kann die Sozialhilfe nicht automatisch für die Dauer der Sommerferien gezahlt werden. Bemühen Sie sich bitte rechtzeitig um einen Ferienjob. Die Weiterzahlung erfolgt nach Vorlage einer neuen Schulbescheinigung nach den Sommerferien." Nur wenn die Schüler glaubhaft nachweisen konnten, dass sie keinen Job fanden, wurde ihnen die Sozialhilfe nachgezahlt. Neukölln argumentiert, dass nach Gesetzeslage die Schulpflicht nach der 10. Klasse endet und die Arbeitskraft nach Beendigung der Schulpflicht herangezogen werden muss, um für den eigenen Lebensunterhalt zu sorgen. Bei einer mutmaßlichen Weigerung, eine Arbeit zu suchen bzw. aufzunehmen, wurde die Streichung der Sozialhilfe mit Paragraph 25 BSHG begründet.

Jeder Arbeitnehmer und Auszubildender hat aber einen regulären Urlaubsanspruch, der nach dem Bundesurlaubsgesetz nicht zur Erwerbstätigkeit genutzt werden darf, weil der Zweck des Urlaubs darin besteht, dem Arbeitnehmer eine Erholung zur Erhaltung seiner Gesundheit und Leistungsfähigkeit zu gewähren. Ferien gehören zur Schulausbildung und sind somit Bestandteil der Ausbildung. Daraus kann man folgern, dass auch Schüler einen Anspruch auf Erholung und Regeneration ihrer Leistungsfähigkeit haben.

Entgegen der schon im Grundgesetz festgelegten Auftrags des Staates, die Ausbildung zu fördern, behinderte Neukölln in den letzten vier Jahren die Ausbildung von Kindern und Jugendlichen aus sogenannten sozialschwachen Familien. Es drängt sich die Frage auf, ob das Ziel der Neuköllner Praxis darin bestand, höhere Schulausbildungen, bessere Qualifikationen bei den Schulabschlüssen und auch ein Studium zu verhindern und systematisch die Betroffenen zu ungelernten bzw. schlecht qualifizierten Hilfsarbeitern zu deklassieren und somit das Klischee des "dummen, doofen und faulen Sozialhilfeempfängers" zu bedienen.

Dank der Intervention von Sozial-hilfebeziehern hat die zuständige Staatsekretärin in der Senatssozialverwaltung Anfang Juni dem Bezirksamt Neukölln mitgeteilt, dass Ferienarbeit von Schülern nicht verlangt werden kann. Wie lange sich Neukölln allerdings an diese Anordnung hält, ist nicht bekannt. Momentan ist der Schülerarbeitszwang aufgehoben, aber der zuständige Sozialstadtrat Dietrich Schippel (CDU) hat bereits angekündigt, das Ganze prüfen zu lassen.

Flora E. Bernhagen, Dr. Constanze Kube

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2000