Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Von der Lust am Scheitern

1.FC Union: Forschung im Selbstversuch

Ich möchte es allen Fußballhassern bestätigen: Die Liebe zu diesem Sport ist hochgradig idiotisch. Am 29. Juli trat zum Beginn der Drittligasaison 2000/01 im Stadion "An der Alten Försterei" der 1. FC Union Berlin gegen den VfB Lübeck an. Es war ein schreckliches Spiel: Die beiden Mannschaften stümperten aufs Grässlichste vor sich hin, in der zweiten Halbzeit fing es auch noch an zu regnen. Ich fragte mich, wie schon einige Male zuvor: Warum bin ich hier? Warum tue ich mir das an? und versuchte, mich vom Spiel abzulenken, indem ich die Fans im Gästeblock zu zählen begann. Ich war noch nicht ganz fertig, als Steffen Menze das Siegtor für Union erzielte - übrigens durch einen unberechtigterweise gegebenen Freistoß. Naja, immerhin gewonnen. Aber sonst? In einem Artikel über den 1. FC Union Berlin, den ich kürzlich las, wurde der Romancier Javier Marias zitiert. Marias sagte demnach, "dass bei einem Fan während der Betrachtung eines Spiels völlig kindliche Züge zutage treten: Furcht, Unruhe, Freude, Scham, Wut, Tränen. Manche Menschen lassen bei all ihren Aktivitäten nie das Kind in sich zum Vorschein kommen, beim Fußball dagegen lassen sie ihren kindlichen Reaktionen bedenkenlos freien Lauf". Das Bemerkenswerteste an Marias´ Beobachtung ist, dass in seiner Aufzählung der Fan-Gefühle die negativen überwiegen: Er benennt sechs Affekte, von denen einzig die Freude als ein positives Gefühl zu bezeichnen ist.

Der Fußballfan muss ein Masochist sein

Der Fußballfan muss ein Masochist sein. In einer Saison, in der achtzehn Mannschaften gegeneinander spielen, um den Besten zu ermitteln, kann rein numerisch nur ein Achtzehntel der Fans wirklich zufrieden gestellt werden: die Meisterfans. Die Fans des Siegers sind glücklich, der Rest ist alles andere als das: Die Fans des Zweitplatzierten grämen sich, dass ihre Elf nicht Erster geworden ist (schon diese Bezeichnung: "Fans des Zweitplatzierten" - das klingt nicht nur lächerlich, sondern geradezu beleidigend). Die Fans der Vereine, die im Mittelfeld der Tabelle gelandet sind, müssen sich eingestehen, dass ihr Club offensichtlich zu Höherem nicht geboren ist und außer Langeweile nur wenig zu bieten hat. Und die Freude der Fans von Mannschaften, die noch im letzten Moment dem Abstieg entrinnen konnten, hat mindestens einen bitteren Beigeschmack: Nach einer Saison, in der es eine Niederlage nach der anderen setzte, ist es die Freude, gerade noch einmal das Schlimmste abgewendet zu haben. Der Masochismus der Fans von Absteigern ist offensichtlich. Das Ausmaß dieser Selbstquälerei ist fast schon epidemisch zu nennen: In der letzten Bundesliga-Saison besuchten durchschnittlich immerhin 21.462 Masochisten die Heimspiele des Absteigers SSV Ulm 1846.

Ein Verein, der geradezu für Fußballmasochisten gegründet worden zu sein scheint, ist der 1. FC Union. Denn bei Union ist alles noch schlimmer: Sie werden sicherer Meister der Regionalliga und scheitern dann in der Relegation zur Zweiten Liga, und das nicht einmal klar, sondern (das fürchterlichste für einen Fan) knapp.

Im März diesen Jahres wurde meinem Schriftstellerkollegen Frank Willmann und mir angetragen, ein Buch über den 1. FC Union Berlin zu schreiben. Der Verlag hätte kaum eine bessere Wahl treffen können: Willmann und mich verband eine gemeinsame, hoffnungslose Liebe zu einem Fußballverein namens BSG Motor Weimar. Willmann war Stürmer der glorreichen, aber wenig sieggewohnten BSG, während ich mich als Motor-Fan zu gerieren versuchte (schon damals nur bedingt erfolgreich). Uns beiden scheint das Mal des Mitgefühls mit den Verlierern auf die Stirn gebrannt zu sein: Folgerichtig wurden wir erwählt, die Chronik eines ewig scheiternden Vereins zu schreiben. Wir wurden - auch folgerichtig - Fans des 1. FC Union.

Die Unaufsteigbaren: Erbrecht auf Sympathie

Der 1. FC Union ist der Fußballverein, der bei Ostberliner Fußballfans praktisch ein Erbrecht auf Sympathie besitzt - und das, obwohl er in seiner wechselvollen Geschichte viele Tiefschläge hinnehmen musste und ihm bis heute eher das Image eines Underdogs, eines Losers anhaftet. Zu DDR-Zeiten wurde der Club benachteiligt gegenüber dem von Stasi-Chef Mielke protegierten BFC Dynamo, der die besten Spieler zugeteilt bekam und von den Schiedsrichtern nachhaltige Unterstützung erhielt. Daraus ergab sich eine Situation, die die Leidensfähigkeit der Union-Fans oft genug auf die Probe stellte. Uwe Schilling, einer der Fans, sagte über die 80er Jahre: "Ich kann mich an wenige Spiele erinnern, die gewonnen wurden. Union spielte fast immer schlecht, wenn es überhaupt mal ein Unentschieden gab, dann war das schon fast wie ein Sieg für uns." Trotzdem waren bei Union-Spielen die Stadien gut gefüllt. Die Zuschauer schienen lieber Union beim Scheitern zuzusehen, als dem Dauermeister BFC beim Siegen.

Den Ruf einer Losertruppe wurde der Verein auch nach der Wende nicht los. Befand sich Union bis dahin im ständigen Auf und Ab zwischen erster und zweiter Liga, versagte die Mannschaft nach der Wiedervereinigung in den entscheidenden Spielen um die Zweitliga-Qualifikation. Danach bewegte sich der Club in den Niederungen der Drittklassigkeit, ständig begleitet vom drohenden Konkurs, von Skandalen, Lizenzverweigerungen. Diverse Glücksritter stellten sich ein, die immer das Beste für "Eisern Union" wollten, sich gerne das Beste nahmen und den Club fast ins Aus manövriert hätten. Wieder und wieder wurde der Einzug in die Zweite Liga verpasst: Hatte man endlich einmal die sportliche Qualifikation geschafft, fehlten Unterlagen, ungefälschte Bürgschaften, schlicht die finanziellen Grundlagen für den Erhalt der Lizenz. In Anbetracht dieses fortwährenden Scheiterns gaben einige Fans ihrem Verein gar den Beinamen "Die Unaufsteigbaren".

Ende der 90er Jahre kam es zur wirtschaftlichen Konsolidierung Unions durch den Einstieg der Kinowelt AG. Das ersehnte Ziel schien in der Saison 1999/2000 greifbar nah: Im zehnten Anlauf glaubte man, den Sprung in die Zweite Liga zu schaffen. Doch der Aufstieg wurde abermals verspielt, die Mannschaft scheiterte in der Relegation an Osnabrück und Ahlen.

Eine der wenigen Niederlagen der vergangenen Saison erlitt Union in Dresden: Die Mannschaft verlor das Spiel gegen den 1. FC Dynamo 0:3. Nach dem dritten Tor kam Stimmung in den Union-Fanblock. Hatte man vorher versucht, die Mannschaft nach vorn zu treiben, wurden nunmehr "Scheißegal, scheißegal"-Gesänge laut. Es ist bezeichnend: Anderswo werden die Kicker ob ihrer schlechten Leistungen ausgepfiffen, die Unioner feiern den Verlierer.

Ich werde es nie zum richtigen Unioner bringen

Woher rührt die Sympathie der Fans für einen Fußballclub, der regelmäßig, wenn es darauf ankommt, verliert? Eine Sympathie, die noch dazu jahrzehntelang aufrecht erhalten wird? Union-Fan Crille sagte dazu: "Man kam sich oft beschissen vor. Das war dieses Union-Gefühl, man ist hingegangen, man hat verloren, man hat oft verloren, aber man hat trotzdem Spaß gehabt. Man war es ja nicht anders gewohnt: Das ist eben Union. So hat man sich das beantwortet."

Crille ist seit fast 20 Jahren Union-Fan, ich musste mir nach nicht einmal drei Monaten eingestehen, dass ich es wohl nie zum "richtigen" Unioner bringen würde. Das Überwiegen der negativen Aspekte im Gefühlsleben eines Fußballanhängers ist der Grund, weshalb ich nie zum "wirklichen" Fan eines Fußballvereins werden kann. Das Scheitern Unions in der Relegation gegen den VfL Osnabrück hatte zur Folge, dass ich mehrere Stunden in einem der anrüchigsten Lokale Berlins ohnmächtig, niedergeschmettert von der Wucht des zu mir genommen Alkohols, darniederlag. Die SMH wurde gerufen, man beschied, dass ich dem Tode gerade noch einmal entronnen sei. Ich verordnete mir daraufhin eine Trockenphase als Trinker wie als Fan: Die nächsten Monate verbrachte ich ohne Alkohol und Union.

Im Enstehungsprozess des Buches wurde uns immer deutlicher, wie leidensfähig Union-Fans sind. Oskar Kosche, langjähriger Torwart der Unioner, sagte: "Die Fans sind unglaublich treu, gerade dann, wenn es besonders schlecht läuft. Um so schlechter es Union geht, um so fanatischer werden die Fans." Das ist eine Fähigkeit, über die wir beide nicht verfügen. Unsere Hochachtung vor einer solchen Eigenschaft wuchs, je mehr wir mit ihr konfrontiert wurden; deshalb - aber nicht nur deshalb - haben wir unser Buch den Fans gewidmet. Liebedienerisch gaben wir dem Werk einen Titel, der eigentlich ein Fanspruch ist: "Und niemals vergessen - Eisern Union". Das ist eine Huldigung, eine Hommage, eine Vergötterung: Darum nochmal zum Mitsprechen für alle: Und niemals vergessen - Eisern Union.

Jörn Luther

Das Buch ist zu bestellen beim BasisDruck-Verlag, fon 445 76 80, fax 445 95 99. Preis 38 DM.

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2000