Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Musik für die Massen
Sommerfreude

Egal wie unterkühlt sich ein Sommer gebärden mag, eine Konstante ist die Zuschreibung von Raggae und Dub als die Sommermusik. Beide Musikstile sind jamaikanischen Ursprungs - und so werden sie meist als klassische Kiffermusik und unbeschwerte Black-Culture-Kiste verbucht. Ist ja auch nicht ganz falsch, geht es doch in den Dancehalls darum, den Alltag zu vergessen und einfach abzufeiern. Gleichzeitig sind Dancehalls aber auch ein Raum für Gegenöffentlichkeit - Musik als politisches Manifest. Hier die politisch korrekte Kolumne für die unbeschwerten Sommertage - sollten sie noch kommen.

Raggae als Urmutter der DJ-Kultur war immer schon der Ort an dem sich die verschiedenen Musikstile vermischten und Neues geboren wurde. Select Cuts from Blood & Fire ist der Titel eines gerade erschienen Samplers. Der Titel des Albums steht für eine Remixidee: Blood & Fire ist das Raggae- und Dublabel aus Manchester. Dieses hat seinen Katalog geöffnet, um ein Reconstructed-Album zu ermöglichen und das wiederum erscheint als erste Veröffentlichung bei Select Cuts. Eine schöne Idee mit begabten und angesagten Künstlern: The Orb, Smith &Mighty, Stereo MC´s oder Dreadzone remixen Klassiker von Horace Andy, King Tubby oder den Impact All Stars. Entsprechend reicht das Spektrum von technoidem über Drum´n´Bass bis zu relativ unauffälligen aber stets perfekten Variationen. Was bleibt nach dem Durchhören - die Lust auf die nicht so geschliffenen und geglätteten Orginale. Ob das nun für oder gegen das Album spricht, sei dahingestellt.

Wie vielseitig Raggae sein kann, beweist Beenie Man mit seinem neuen Album Art and Life (Virgin). Konsequent dehnt Beenie Man das Universum von Roots-Raggae in alle unerforschten und unerwarteten Richtungen aus. Also keine Drum´n´Bass Variationen, dafür aber eine Calypso-Adaption wie bei The Tumble oder eine Variation des alten Rock-Steady-Klassikers I´ve got a Date.

Ziemlich gelungen ist auch die Zusammenarbeit mit den HipHop Stars Wiclef und Kelis. Da Raggae und HipHop ohnehin dicht beieinander liegen, war - natürlich - auch nichts anderes zu erwarten.

Das Beste zum Schluss. Das kommt erstaunlicher Weise aus Deutschland. Aus Hamburg, um genau zu sein. Und - nein, es ist keine neue Eimbusch-HipHop-Posse. Raggae eben mit - na gut - HipHop Background. Aber während sich gerade deutsche HipHoper in ihren Texten nur noch um ihre Styles kümmern und sich bis zum abwinken dissen, hat Patrice auf seinem ersten Longplayer Ancient Spirit (Yo-Mama/Zomba) deutlich mehr zu bieten. Abgesehen von seinen wunderschönen Liebesliedern, bringt Patrice mit Fear Rules oder No Excuse das Politische zurück auf die Bühne. Nun ja, eine Portion esoterischen Gutmenschentums findet sich schon zwischen den Zeilen, aber Patrice ist gerade mal 20 und wenn seine Texte erst so gut werden wie seine Musik... und die ist schon wegen seiner coolen Verbalakrobatik hörenswert. In einer Mischung aus jamaikanischen Pastois und Englisch entwickelt er eine unglaubliche Dynamik. Aber auch der gesamte musikalische Hintergrund schillert geradezu perfekt. Ob reduzierte Folkelemente oder phatte Bläserkompositionen - auf Ancient Spirit findet sich mehr Groove und Hitverdächtiges, als man von einem Album erwarten kann.

Marcus Peter

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 08 - 2000