Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Mamlakat und der Schauspieler

Bizarres Tadschikistan: "Luna Papa"

"Luna Papa" ist ein Streifen, der im fernen Tadschikistan spielt und von dem wohl nicht weiter die Rede wäre - und den ein ähnliches Schicksal ereilt hätte, wie die meisten Filme aus dem Osten der letzten 10-15 Jahre, wäre er nicht eine internationale Koproduktion und hätte nicht gerade deshalb ein gewisser Moritz Bleibtreu ("Lola rennt") eine nicht unbedeutende Rolle übernommen.

Nicht nur Hollywood weiß, dass bekannte Darsteller das wichtigste Vermarktungsinstrument eines Films sind. Das ist auch der Grund, warum man solche Filme gewöhnlich meidet. Zu befürchten waren nervige 107 Minuten Film mit einem arg herumhampelnden und kaspernden Bleibtreu, der durch den Krieg einen Dachschaden erlitten hat. Schon schwante einem, hier ist dumpfer deutscher Humor an die Grenze zu Asien exportiert wordenÉ

Doch dann ist man plötzlich überrascht von der herrlich unaufgeräumten Szenerie des Dorfes, dem wunderschönen Meer im Hintergrund und den ungewöhnlichen Farbtönen. Zwischen rot und blau angesiedelt, lassen sie auf russisches Filmmaterial schließen, welches in westlichen Filmländern nicht verwendet wird und eine eigene Ästhetik vermittelt. Für die Erdigkeit der Bilder ist dieses Filmmaterial die beste Unterstützung.

In der Handlung wird ein Tempo und eine Skurrilität vorgelegt, die an die bizarren Filme Kusturicas erinnern. Auch dreht sich viel um Ganoven und deren krude mafiöse Gebräuche. Hier könnte der Film zum Abklatsch werden, doch gerade die absurden und teilweise surrealen Momente tun dem Film besonderes gut.

Aber der Film hat einen anderen Fokus. Es ist das Mädchen Mamlakat (ein Name, der wie süße Marmelade klingt) das mit ihrem schönen, Naivität ausstrahlenden Vollmondgesicht einen Gegenpol zur derben Realität darstellt. Aus dieser Arglosigkeit heraus wird sie in einer Vollmondnacht schwanger und weiß nicht, von wem. Nur dass es ein Schauspieler war, ist sie sich sicher. Dies ist, vor allem in einer postsowjetischen Gesellschaft, die sich auf ihre muslimischen Wurzeln besinnt, ein ernsthaftes Problem, denn sie wird nun zum Outcast des Dorfes. Und so jagen Vater, Bruder und Tochter in einer aberwitzigen Tour de Force von Ort zu Ort, um den Erzeuger ausfindig zu machen, denn verheiratet sein bedeutet, die Ehre gerettet zu haben.

Die Gewissensnöte, in der sich die werdende Mutter befindet, lassen ihren Entschluss reifen, abzutreiben. Eine verirrte Kugel von Banditen tötet jedoch den Doktor kurz vor der Ausführung und rettet das im Bauch heranwachsende Kind, das, ohne jemals in Erscheinung zu treten, gleichsam als einfühlsamer Erzähler fungiert. Mamlakat lernt einen betrügerischen Arzt kennen, den sie vor seinen Verfolgern rettet und der sie dann - trotz Kind - heiraten will. Er muß sich nur noch als Schauspieler ausgeben...

So wie Mamlakat von seinem Charme überwältigt wird, so erliegt der Zuschauer dem schroffen Zauber des Films und man gewöhnt sich sogar an Moritz Bleibtreu.

Peter Wick

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