Ausgabe 08 - 2000berliner stadtzeitung
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Blauberockte Taube sorgt für Wunder

Hochhuths Hebamme im "Theater am Schiffbauerdamm"

Wildgeklebte Plakate weisen unmißverständlich auf Konspiration hin. Dabei ist das, worauf sie weisen, nichts dergleichen. Es ist die Sommerbespielung des Berliner Ensemble. Das heißt, die Pflichtveranstaltung für Rolf Hochhuth, der in diesem Jahr erstmals eines von seinen Stücken selbst in Szene gesetzt hat.

Im Vorfeld der Aufführung erheiterten der eigentliche Hausherr des BE Claus Peymann und Immobilienbesitzer Hochhuth mit gegeseitigen Beschuldigungen. Peymann glänzte dabei durch einige Finesse. So ist den Schauspielern des Stückes verboten, auf dem Hof ihre Autos zu parken. Werbung am Gebäude ist auch nicht möglich, da hängen schon die Transparente für die neue Spielzeit des Berliner Ensemble. Denn Aufführungsort des ganzen ist wohlgemerkt das "Theater am Schiffbauerdamm". Das BE soll/will damit nichts zu tun haben. Das Kartenhäuschen steht wegen Umbauarbeiten der Stiftung nicht zur Verfügung, so sitzt also ein junger Mann am improvisierten Tischschalter und wühlt sich durch die bereits ausgedruckten Kartenberge.

Schon am zweiten Abend versammelte sich nur ein spärlicher Haufen vor dem Theater, größtenteils Leute, die den Namen Hochhuth noch aus besseren Tagen kennen. Da war man politisch engagierter. Da war die Zeit eine andere.

Und das ist das Problem. Geschrieben wurde "Die Hebamme" 1972, damals wohl sehr oft aufgeführt, wie das Programmheft wissen läßt, und wir haben es mit einer Komödie zu tun. Hochhuth hat vielleicht gedacht, daß Sommer ist, und dass so schwere Kost wie "Der Stellvertreter" nicht so angenommen würde vom Publikum. Und das ist wild entschlossen, sich an dem Abend zu amüsieren, es lacht bisweilen sogar.

Die Aufführung an sich ist so antik wie das Plakat oder so selbstgemacht. Denn der Autor wollte es sich nicht nehmen lassen, selbst zu inszenieren, damit die Moral auch richtig sitzt. Die ist das Wichtigste. Hölzern stehen die Darsteller auf der recht sparsam ausgestatteten Bühne. Bewegung findet eigentlich nur statt, wenn die Drehbühne beim Szenenwechsel in Aktion tritt. Die gestandene Brechtschauspielerin Regine Lutz, die erst kurz zuvor für eine erkrankte Kollegin einsprang, gibt die Hebamme routiniert, aber wenig überzeugend. Dabei kennt sie den Text schon seit den Siebzigern. Liegt es nun an der kaum in Erscheinung tretenden Regie von Rolf Hochhuth oder ist es Lustlosigkeit der Schauspieler? Hochhuth ist an der Moral von der Geschicht zuviel gelegen, die mit dem Holzhammer in die Zuschauer eingeprügelt werden soll.

Aber worum geht es? In einem westdeutschen Provinzstädtchen baut die Bundeswehr neue Mietshäuser für ihre Angestellten. Gleichzeitig hausen am Stadtrand alte Menschen und Familien in Baracken. Die Hebamme Schwester Sophie hat mit Hilfe des katholischen Priesters die alten Leute schon aus den Hütten geholt. Nun sollen die armen Familien von "Chicago-Nord" ebenfalls eine menschenwürdige Behausung erhalten. Das Geld dafür zu bekommen, ist aber nicht einfach. So wird eine auf dem Flüchtlingstreck gestorbene Adlige für ihre reichhaltige Witwenrente von der Schwester Sophie reanimiert. Die gute Sophie führt für ihre Schutzbefohlenen ein Doppelleben und einen Krieg gegen die untereinander kungelnden Kommunalpolitiker.

Die Barackler wiederum sind alle ganz nett und vom Schicksal gebeutelt, denn ohne Wohnung nix Arbeit und so weiter. Das wird alles nochmal richtig schön kommentiert, damit jeder auch Bescheid weiß, wie schlecht die kapitalistische Welt da draußen ist. Sie sehen nebenbei so aus, wie einfaches Volk eben aussieht: Frauen in grobgestrickten Socken und zusammengewürfelten Kleidern, Männer mit Schiebermützen und abgetragenen Anzügen. Diese Gestalten wären bestimmt für den Film "Das Wunder von Mailand" direkt engagiert worden. Die Hebamme ist sozusagen die blauberockte Taube, die hier das Wunder bewerkstelligen wird. Allerdings mit den Mitteln der Kleinkriminalität, die letzten Endes zum Ziel führen, nachdem sie die ganzen Provinzhonoratioren nebst katholischem und evangelischem Geistlichen gegeneinander ausgespielt hat. Alles zum Wohle des einfachen Barackenvolkes, versteht sich.

Ein anderer Regisseur hätte daraus mit etwas Augenzwinkern noch eine Posse machen können. Aber vielleicht gibt´s die hinterher noch mit real existierenden Personen.

Ingrid Beerbaum

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