Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
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Rosinenpicken im Wohnungswirtschaftskuchen

Mit dem Verkauf der GSW und In-sich-Geschäften versucht der Senat seine Haushaltslöcher zu stopfen

Die städtischen Wohnungsbaugesellschaften erfreuen sich zur Zeit einer ungewohnten Beliebtheit. Waren GSW, Gewobag, Gesobau, Degewo, Stadt und Land, WIR, WIP, WBM, WBF und wie sie alle heißen bisher ein Inbegriff von starren Großvermietern, für die Service am Mieter ein Fremdwort ist, so werden sie heute von ihren Mietern als kleineres Übel verteidigt. Das liegt nicht an den jüngsten Bemühungen der Gesellschaften, ihr Image aufzupolieren, sondern daran, dass der Senat sie verkaufen will. Mit der Privatisierung an Immobilienkonzerne gibt das Land Berlin seine Eingriffsmöglichkeiten auf den Wohnungsmarkt auf. Die Mieter betrachten die Zusicherung, für sie werde alles beim Alten bleiben, mit großer Skepsis.

Nach längerem Hin und Her hat der Senat kürzlich den Verkauf der Gemeinnützigen Siedlungs- und Wohnungsbaugesellschaft (GSW) beschlossen. Mit 72000 Wohnungen ist sie die größte der städtischen Wohnungsbaugesellschaften. Ihre Wohnungsbestände liegen vornehmlich im Südwesten Berlins, sie verfügt aber auch über eine beträchtliche Anzahl von 20er- und 30er-Jahre-Wohnbauten im Ostteil der Stadt.

Der jetzige Senat ist mit der Koalitionsvereinbarung angetreten, 300000 Wohnungen im Landesbesitz zu halten - andersherum ausgedrückt: 70000 städtische Wohnungen zu verkaufen, um einen Beitrag zur Haushaltssanierung zu leisten. Anlässlich des scheinbar entspannten Wohnungsmarktes meint der Senat, 300000 sozialgebundene Wohnungen seien genug. "Der Bestand an preiswerten Wohnungen ist ausreichend", sagte Finanzsenator Peter Kurth (CDU) auf einer PDS-Konferenz zum Thema "Soziales Wohnen", "Sozialbindungen werden nicht mehr im vorhandenen Ausmaß benötigt."

Matthias Bernt, Betroffenenvertreter vom Helmholtzplatz widersprach: "Breite, ärmere Bevölkerungsschichten sind auf billige Wohnungen angewiesen." Doch große öffentliche Wohnungsbestände, die die Versorgung mit bezahlbarem Wohnraum sichern sollten, wurden schon verkauft und werden weiter verkauft. "In den verbliebenen Beständen laufen die Sozialbindungen aus und die Zahl billiger Altbauwohnungen geht aufgrund der Modernisierung drastisch zurück", bemängelt Bernt. Das untere Preissegment wird dadurch immer schmaler.

Strohfeuereffekt mit Folgekosten

Bereits im März hat die wohnungspolitische Sprecherin der Grünen, Barbara Oesterheld, dem Abgeordnetenhaus vorgerechnet, dass der Senat in den letzten fünf Jahren 3,1 Milliarden Mark aus den landeseigenen Wohnungsunternehmen herausgezogen hat und im gleichen Zeitraum genau den gleichen Betrag für die Eigenheimförderung ausgegeben hat. Den direkten Zusammenhang vom Verkauf von Sozialwohnungen einerseits und der Bezuschussung von Häuslebauern andererseits bestreitet Finanzsenator Kurth. Die Verkaufserlöse fließen überhaupt nicht in irgendeine Form von Wohnungspolitik, sondern werden allein zum Löcherstopfen im Senatshaushalt benutzt. Die Finanzpolitik steht hier ganz eindeutig über der Wohnungspolitik. Der Strohfeuereffekt der Einmal-Einnahme könnte sogar soziale Folgekosten verursachen, die dauerhaft die Landeskasse belasten würden: höhere Wohngeldzahlungen.

Strickmuster Gehag

Dass gerade die GSW zum Verkauf angeboten wird, ist kein Zufall. Unter den öffentlichen Wohnungsbaugesellschaften steht sie wirtschaftlich am besten da. Andere Gesellschaften mit höheren Defiziten, schlechteren Wohnungsbeständen und größerem Leerstand wären wohl kaum verkäuflich. "Fatal" nennt es der PDS-Fraktionsvorsitzende Harald Wolf, die hochwertigen Wohnungen aus dem städtischen Eigentum herauszulösen: "Übrig bleiben schlechte Bestände, überwiegend Plattenbau im Osten."

Selbst beim Verkauf von 75 Prozent der Gehag, ehemaliges Flaggschiff der Berliner Wohnungsbaugesellschaften, wurde 1998 nur einen Preis von 350 Mark pro Quadratmeter Wohnfläche erzielt. Heute bietet der Investor den Gehag-Mietern ihre Wohnungen zum Preis von 1900 Mark pro Quadratmeter an. Diese Beträge lassen sich zwar nicht unmittelbar miteinander vergleichen, doch das Beispiel der Gehag liefert das Strickmuster: "Die Wohnungsbaugesellschaften gehen an börsennotierte Unternehmen, deren einziges Ziel es ist: kaufen, verkaufen und den größten Profit rausziehen", meint Reiner Wild vom Berliner Mieterverein.

Not kauft Elend

Nun kommen auch die restlichen 25 Prozent der Gehag-Anteile unter den Hammer: Die landeseigene Gesobau soll sie vom Land Berlin kaufen. Außerdem soll die Gewobag die kränkelnde WIR (Ex-Neue Heimat) und die sieche WIP (Prenzlauer Berg) kaufen. Damit bei diesen "In-sich-Geschäften" nicht nur Geld von der linken in die rechte Hosentasche des Senats gesteckt wird, müssen die beteiligten Unternehmen Wohnungen veräußern. So hat die WIP schon vorauseilend 24 Häuser zum Verkauf ausgeschrieben. Nun dürfte immerhin das jahrelange Hickhack beendet sein, ob die WIR die WIP kaufen soll oder umgekehrt.

Der Rechnungshof hat die In-sich-Verkäufe zwar als "verdeckte Kreditaufnahme" gerügt, doch der Finanzsenator ist anderer Meinung. Zweck der In-sich-Geschäfte sei vor allem die "Herstellung von vernünftigen betriebswirtschaftlichen Größen von 50-60000 Wohnungen", so Kurth.

Löchriger Mieterschutz

Im Juni hat Kurth sich mit seinem Senatskollegen für Stadtentwicklung, Strieder (SPD) auf Bedingungen für den GSW-Verkauf geeinigt: Kündigungen wegen Eigenbedarfs oder wegen wirtschaftlicher Verwertung werden ausgeschlossen, bei Neuvermietungen dürfen die Mieten nur fünf Prozent über dem ortsüblichen Niveau laut Mietspiegel liegen, nach einer Modernisierung höchstens zehn Prozent darüber. Ein Viertel der GSW-Wohnungen sollen ausschließlich den Mietern zum Kauf angeboten werden.

Der Berliner Mieterverein fordert, dass diese Zusicherungen als Ergänzung zum Mietvertrag festgeschrieben werden, sonst seien sie vor allem für neue Mieter schwer durchsetzbar. "Bei einer jährlichen Fluktuation von zehn Prozent wären die Bedingungen statistisch in zehn Jahren unwirksam", so Reiner Wild.

Bis zum Ende des Jahres soll der GSW-Verkauf abgewickelt werden, doch vorher muss Senator Strieder noch seine Partei hinter sich bringen, deren linker Flügel den Verkauf von Wohnungsbaugesellschaften generell ablehnt. Die MieterInnen-Initiative gegen Privatisierung macht zum SPD-Parteitag mobil, um die Sozialdemokraten von ihrer Zustimmung zum Verkauf abzubringen. Am 15. Juli um 8.30 Uhr startet die Initiative vor dem Tagungsort ICC eine Kundgebung gegen den GSW-Verkauf.
Jens Sethmann

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