Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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"Bei sechzig Kilo piepst dann die Waage"

Wie man im Designer-Outlet-Center sparen kann

Ein Ausflug sollte es werden, ein alternativer im weitesten Sinne. Die Werbung dafür war großartig angelaufen: "Blaumachen macht reich und schön", versprachen die unzähligen Werbepostkarten, die man überall in den Szenekneipen mitnehmen konnte und die einem das blaue Logo mit der Bundesstraßenbezeichnung "B5" ins Gedächtnis trommelten. Zuvor hatte man schon die Pressevertreter großzügig eingeladen. Selbst die allerkleinste Zeitung wurde noch mit zahlreichen Faxen, einem Shuttlebusangebot und der Grand Opening Lounge bezirzt und bekam zur Eröffnung ein Glas Prosecco und eine "kleine Überraschung" in Aussicht gestellt. Das erste Designer-Outlet-Center Deutschlands sollte Ende Mai im Brandenburgischen, genauer gesagt in Wustermark nahe der Berliner Stadtgrenze, eröffnen.

Doch wegen zahlreicher Terminüberschneidungen musste die Eröffnung leider ohne die Pressevertreterin der kleinen Zeitung stattfinden. Das Center wurde selbstverständlich dennoch eröffnet und abends, am heimischen Fernsehschirm, konnte die Vertreterin stattdessen dann Frauke Ludowig, die bei den Pivaten eine prominente Rolle spielt, wenigstens beim feierlichen Eröffnen und blauem Band Durchschneiden zusehen. Im Anschluss an Frauke stürmten dann die Openinggäste die Treppen rauf, um nun endlich einmal richtig zu shoppen. Vom Allerfeinsten war versprochen worden, Markennamen, die man sonst nur erfürchtig erwähnt, sollten nun den eigenen Kleiderschrank füllen. Sie seien so billig, wie sonst nirgends, trompetete es von allen Seiten. Kleine Dramen wurden in den Bericht eingeflochten, wie sich beispielsweise die schöne Tochter nicht entscheiden konnte, ob sie nun das Kleid für den Abiturball nehmen sollte (der Preis belief sich lediglich auf etwas über 1000 Mark) und ob die begleitende Mutter nicht auch das Kleid tragen könnte, was die Investition nochmal halbiert hätte. Sozusagen hautnah im doppelten Sinne konnte man der Verschönerung der Käuferinnen beiwohnen. Alles war unglaublich aufregend und neu, eine bis dahin verschlossene Welt ungeahnter Möglichkeiten tat sich am Bildschirm auf.

Da könn´se mit mir fahren

Aufgeschoben ist nicht aufgehoben, dachte sich da die zu Hause gebliebene Pressevertreterin und fuhr nun endlich Ende Juni nach Wustermark. Wobei dieser mehr private Ausflug gleichfalls strategisch vorbereitet wurde, vor allem den euphorischen Vorabberichten waren einige Vorkehrungen im persönlichen Rahmenprogramm geschuldet. Am Tag zuvor wurde gezielt der Secondhandshop Humana angesteuert mit dem festen Vorsatz, irgendetwas einzukaufen. Mit dem Erwerb eines schwarzen Kleides für sagenhafte 15 Mark wurde dieser Teil erfolgreich abgeschlossen. Ebenso war die Anreise am nächsten Tag nach Wustermark sorgfältig eingefädelt worden. Mit der Regionalbahn vom Alexanderplatz nach Wustermark (25 Minuten), dann weiter mit dem Bus zum Center sollte es gehen. Die Überlegung dahinter lautete, dass man in den Öffentlichen nur eine begrenzte Zahl von Tüten transportieren kann.

Die Regionalbahn fuhr planmäßig alle zwei Stunden und der Anschlussbus wartete netterweise auch schon. Der Busfahrer sprach dann zwar nicht von Designeroutletcenter, als er nach der Ausstiegshaltestelle gefragt wurde, sondern meinte: "Ja, zum Gewerbepark nach Elstal - können´se mit mir fahren." Doch vielleicht machte er sich einfach nichts aus Mode. Nach fünf Minuten Fahrt gab es noch eine schwungvolle Kurve und man war da. Der Busfahrer hatte nicht gelogen, links grüßte das Drive-In von McDonalds, daneben hatte sich ein Küchengroßhändler breit gemacht, diverse andere Firmen rundeten die Besiedlung ab und auf einem großen Schild wurden noch weitere Investoren für das Gelände gesucht.

Ganz hinten endlich dann auch das Center, schön aufgelockert zweigeschossig angelegt in blauen und roten Bauelementen, die Kubikmassen gleichmäßig aufgeteilt auf Parkhäuser und Verkaufsräume sowie Restaurant und Kinderverwahranstalt. Die Parkhäuser waren nahezu leer und auch sonst schien an diesem Donnerstagsmittag keiner mit der Ausflüglerin die Treppe hochstürmen zu wollen. Im Inneren hatte sich die übersichtliche Zahl der Besucher anscheinend auf das nicht minder übersichtliche Shopangebot eingependelt.Knapp die Hälfte der Schaufenster war feundlich verklebt, abwechselnd verkündend, dass hier demnächst die Soundso-Marke ein Geschäft eröffne oder ein Mieter für den einmaligen Standort gesucht werde. Der Rest der unverklebten Geschäftsräume bot erstaunlicherweise mindestens dreimal ein ähnliches schwarzes Humanakleid für immerhin 300 Mark an, - sieht man mal wohlwollend über das fehlende Label hinweg - nebst einem durchschnittlichen Standard des Üblichen an T-Shirts, Pullovern usw. Die Kreationen von Ferré trafen beim besten Willen nicht den eigenen Geschmack und die Taschen von Aigner waren was für alte Frauen. Nach einer Stunde war die Shoppingrunde beendet.

Kreatives Rechnen

Das abschließende Mini-Pizzastück Tomatekäse im Selfservice sollte 6,50 Mark kosten, den Zuschlag erhielt die Frittenbude. Einmal Pommes mit Mayo und Stehtisch für 3,20 Mark. Zwei junge Frauen am selben Tisch verarbeiteten gerade ihre Shopping-Runde: "Komisch, dass die hier noch Pommes verkaufen, die sollten eigentlich Diätfutter anbieten. Nur kleine Größen findest Du hier. Wahrscheinlich bauen sie demnächst eine Waage am Eingang auf. Bei 60 Kilo piept die dann und du musst draußen bleiben." Offensichtlich war ihnen das aber völlig egal, denn ihre Pommestüten waren die größten. Jetzt wurde auch klar, warum die Verkäuferinnen immer auf die älteren Damen zustürmten, sobald die ratlos vor den schönen Stücken standen. Nicht nur, weil sie vermeintlich mehr Geld ausgeben wollten, sondern um ihnen die raren Stücke in Größe 42 anzupreisen.

Nach gut drei Stunden war der Alexanderplatz wieder erreicht. Die Bilanz war positiv: Der unvergessliche Ausflug hatte 3,20 Mark für Essen und 8,50 Mark für die Tageskarte ABC verschlungen. Summa summarum waren 285 Mark für das Kleid gespart worden. Es hatte sich rundum gelohnt.

Und auf Humana wird auch in Zukunft Verlass sein: Schon baumelt in ihren Filialen über ein paar Extrakleiderständern ein Pappschild mit dem Hinweis "Exklusiv".
R.L.

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