Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

"Weinberger Quartier" ohne alte Bewohner!

Mit der Entmietung und Umwandlung in Eigentumswohnungen der Häuser Bergstraße 69/70 geht in der ohnehin einem starken Verdrängungsdruck ausgesetzten Gegend um den Nordbahnhof in Mitte wieder ein Stück bezahlbaren Wohnraumes verloren. Doch einige der oft schon seit Jahrzehnten hier wohnenden Mieter wollen sich nicht so einfach aus ihren Häusern vertreiben lassen.

Häuser am Rande des Abgrundes, das ist es, was einem zuerst einfällt, läuft man einmal durch die vielen Höfe des Grundstückes Bergstraße 69/70. Direkt an die nach einer Seite offenen Höfe angrenzend erstreckt sich ein großes Loch, über einer Tiefgarage sollen hier einmal Wohnungen entstehen. Doch die Bauarbeiten wurden erstmal eingestellt, die Mieter der Altbauten wohnen nun mit Blick auf eine wie eine Ausgrabungsstätte wirkende Grube mit freigelegten Grundmauern.

Doch geht es nach dem Willen der "O.H. Janssen Bauregie" aus Emden, die den Gebäudekomplex Anfang letzten Jahres von der in alle Welt verstreuten Erbengemeinschaft der jüdischen Alteigentümer erstand, werden die jetzigen Mieter ohnehin nicht mehr lange in diesen Häusern wohnen bleiben. Eigentumswohnungen sollen hier entstehen. Die meisten wurden schon vor der geplanten Modernisierung des Gebäudekomplexes verkauft, nun beginnen die ersten Bauarbeiten. Obwohl Herr Berg von der Firma Janssen auf Anfrage betont, es sei nicht beabsichtigt, Mieter herauszudrängen, und es würde alles "korrekt" laufen, empfinden viele Mieter deren Methoden eher als dubios.

Für die Mieter würden Ersatzwohnungen besorgt, da es ja niemandem zuzumuten sei, bei der Belastung durch die Bauarbeiten weiter in den Häusern zu wohnen. Und sofern die Wohnungen nicht an Eigennutzer sodern nur an Kapitalanleger, die die Wohnungen ohnehin wieder vermieten, verkauft würden, könnten die Bewoher auch wieder in ihre alte Wohnung zurückziehen... Darüber, wie hoch dabei die Mietsteigerung ist, konnte er keine Auskunft geben.

Mietrecht spielt keine Rolle

Dies wissen auch die Mieter selbst nicht, denn trotz der beginnenden Bauarbeiten wurde bislang keiner Mietpartei eine gesetzlich vorgeschriebene Modernisierungsankündigung zugesandt, aus der unter anderem diese Information zu entnehmen wäre. O.H. Janssen scheint sich um das Mietrecht recht wenig zu kümmern und übt damit Druck aus: Mal werden die Schlösser der Keller ausgetauscht und den Mietern die neuen Schlüssel nicht ausgehändigt, mal brechen Bauarbeiter bei Entrümpelungsarbeiten einen noch genutzten Keller auf. Als der betroffene Mieter die Bauleitung zur Rede stellte, hieß es nur lapidar, Janssen hätte das Haus nun gekauft und könne hier machen, was er wolle. Die von dem Mieter gerufenen Polizeibeamten machten diesem feudalen Treiben ein Ende und wiesen Janssens Leute in ihre Schranken.

Wenn Mieter auf dem Weg nach Hause Gesprächsfetzen von der Bauleitung mit Baufirmen aufschnappen wie "...da sind noch Mieter in dem Haus?" - "Ja, aber wir arbeiten noch daran...", dann wissen sie, was die Stunde geschlagen hat. Eine alte Frau, die selbst einmal Verwalterin des Anwesens war und seit 70 Jahren hier lebt, wollte Janssen mit 2000 Mark Umzugsgeld abspeisen, damit sie auszieht. Nachbarn mischten sich ein, sodass sie für 5000 Mark einwilligte auszuziehen, und in ein Altenheim zog.

Kein Dialog mit den Mietern

Obwohl selbst bei einem Kauf der Wohnung durch einen Eigennutzer die Altmieter einen mehrere Jahre andauernden Schutz vor Eigenbedarfskündigungen besitzen, geht Janssen selbstverständlich davon aus, dass alle Mieter ausziehen werden. Dafür spricht auch das Dossier der "Omnicon", die den Vertrieb der Wohnungen übernommen hat. Dort werden die Wohnungen in der nun vornehm "Weinberger Quartier" genannten Wohnanlage mit zum Teil grob veränderten Grundrissen angeboten. Auch dies ein Verstoß gegen das Mietrecht, wonach solche Grundrissänderungen bei Modernisierungen nur mit Zustimmung der Mieter zulässig sind.

Etliche, vor allem die schon lange hier wohnenden Mieter sind aber nicht bereit, ohne weiteres das Feld zu räumen. Sehr zum Erstaunen eines Herrn Schindler, der von Janssen beauftragt wurde, mit den Mietern zu verhandeln: Er war sichtlich verwirrt, als er von einer Mieterin auf die Frage, wann sie denn ausziehen wolle, zur Antwort bekam, sie werde gar nicht auszuziehen. Erst wolle sie eine Modernisierungsankündigung sehen. Auf die angebotenen Umzugsgelder wollte sie sich nicht einlassen, zumal der Rahmen von Janssen dabei ziemlich eng gesteckt ist. Außerdem traue sie Janssen nicht, da er sich nicht an eine gesetzmäßige Vorgehensweise hält. Wie viele andere Mieter wirft sie Janssen vor, auf deren Bedürfnisse keinerlei Rücksicht zu nehmen und konstruktive Gespräche zu verweigern. Sie und etliche andere Mieter lassen sich mitterweile von Rechtsanwälten gegenüber Janssen vertreten. Auch wurde zusammen mit einem Anwalt der Berliner Mietergemeinschaft eine Mieterversammlung durchgeführt. Eine Hausbewohnerin brachte die Stimmung auf den Punkt: "Je mehr wir merken, dass sie uns mit diesen Machenschaften los werden wollen, desto mehr denken hier nicht im Traum daran zu gehen."
Michael Philips

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 07 - 2000