Ausgabe 07 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Und schreib schön besoffen!

Altes Neues von Thomas Kapielski bei Zweitausendeins

Vor kurzem wurde Thomas Kapielski - dem verantwortlichen Redakteur sei´s gedankt - anstelle des langweiligen Tim Staffel installiert, um im "Leben", der Lifestyle-Beilage der Zeit, eine Berlin-Kolumne zu betreuen. Dort paßt der Kunsttrinker zwar gar nicht hin, aber vermutlich hat man ihn gerade deshalb engagiert, Stichwort Trash. Wir lesen nun also auch in der Zeit über so bemerkenswerte Dinge wie jenen Vorfall in Neukölln, als ein Säufer mit seiner Zunge in einer Bierflasche stecken blieb und von der Feuerwehr befreit werden mußte - Kapielski war zugegen. Wir lesen aber auch Kalauer und Anekdoten, die uns bekannt vorkommen. Thomas Kapielski wiederholt sich, denn die Nachfrage ist groß geworden seit den erfolgreichen Büchern im Merve Verlag (1998/99) und seiner Teilnahme am Ingeborg-Bachmann-Wettbewerb. Vorbei die Zeiten der "Kneipenrunden, wo wir den Reichtum unserer Einfälle verschwendet und anschließend vergessen haben: die Schwärmer, die Heuler, die Lacher, alles hinaus ins Pluriversum geschaufelt, nichts davon aufgeschrieben, mit nichts davon die Welt verbessert und belästigt!"

Alles muß ausgeschlachtet werden und das beschert uns eine erfreuliche Wiederbegegnung mit zwei Kapielski-Werken aus der Zeit, als der Meister außerhalb der (West)Berliner Kneipen noch nicht omnipräsent war. Aqua botulus und Der Einzige und sein Offenbarungseid, 1992 bzw. 1994 in Berliner Kleinverlagen erschienen, sind nun bei Zweitausendeins wiederaufgelegt worden. Mehr oder weniger direkt aus der Kneipe bzw. dem Alkohol zusprechenden Intellektuellen-Runden transkribiert ist Der Einzige und sein Offenbarungseid. Als Autoren firmieren folgerichtig "Kapielski und Freunde". Schwach- und Tiefsinn, billige Kalauer und kulturkritische Einsichten sind in diesem Buch, das auch mit Bildern und einschüchternden Fußnoten aufwartet auf wunderbare Weise vermischt.

In Aqua botulus lernen wir schließlich den Fotokünstler Kapielski kennen. Der widmet sich dem Unscheinbaren, dem irritierenden Detail: Aufkleber auf Autos, Bausünden, Lampen, Blumenkübel und Tapeten interessieren diesen Fotografen. Auf jeder Seite des Textes, der um besoffene Geschichten im "Leinestübchen", in Köln und anderswo kreist, finden wir ein Foto und im Text gibt es eine Vielzahl von Verweisen auf diese Bilder. Nur die wenigsten davon, das muß ich gestehen, haben sich mir erschlossen. Vielleicht war der Alkoholpegel einfach zu niedrig. Ich befürchte aber, es werden sich noch Generationen von Literatur- und Kulturwissenschaftlern die Zähne an diesen Text-Bild-Relationen ausbeißen. Sei´s drum: "Schließlich ist man Künstler und Realität ist bekanntlich die Illusion, die aus Mangel an Alkohol entsteht."
Florian Neuner

Thomas Kapielski: Aqua botulus und Der Einzige und sein Offenbarungseid. Verlust der Mittel, Zweitausendeins, Frankfurt am Main 2000, jeweils 17 DM, zusammen 29,50 DM

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 07 - 2000