Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

Diese Ausgabe

Inhaltsverzeichnis


Zur Homepage

Zur Vernissage kam die Polizei

Die gestohlenen Bonhoeffer-Büsten tauchten in einer Ausstellung wieder auf - plötzlich interessiert sich auch die Polizei für den ins Nazi-Regime verstrickten Psychiater.

René Talbot ist Sprecher des Landesverbandes Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg, der zusammen mit der israelischen Partnerorganisation die Wanderausstellung "The Missing Link - Karl Bonhoeffer und Weg in den medizinischen Genozid" organisierte, die am 31. Mai in der Volksbühne beginnen und dann bis März nächsten Jahres in Berlin gezeigt werden sollte. Doch daraus wird erst mal nichts. Denn zur Vernissage kam die Polizei.

scheinschlag: Am 31.5. sollte in der Volksbühne die Ausstellung "The Missing Link - Karl Bonhoeffer und der Weg in den medizinischen Genozid" gezeigt werden. Was sollte dort zu sehen sein?
René Talbot: Es handelte sich um zwei Figuren, die der weltbekannte israelische Bildhauer und Träger des Bundesverdienstkreuzes Igael Tumarkin dem Landesverband Psychiatrie-Erfahrener Berlin-Brandenburg schenkte. Dieses Geschenk hat seine besondere Bedeutung dadurch, dass die Skulpturen eine künstlerische Transformation zweier Büsten von Karl Bonhoeffer zugrunde liegt. Die eine war bis zum Herbst 1998 im Karl-Bonhoeffer-Raum in der Psychiatrie der Charité, die andere befand sich auf dem Gelände der Karl-Bonhoeffer-Nervenklinik. Sie waren dort spurlos verschwunden und sind schließlich in Israel wieder aufgetaucht. Tumarkin hatte sie nun künstlerisch völlig verändert und ihnen die poetischen Namen "Der Professor, das Opfer, der heilige Kelch" und "Kastrierungsgedanken kommen mit Engelsmusik" gegeben. Am Mittwoch sollte die Ausstellung in der Volksbühne eröffnet werden. Im Anschluss sollte sie als Wanderausstellung bis kommenden Frühjahr an verschiedenen Stellen in Berlin zu sehen sein, unter anderem vor dem Bundesumweltministerium, der Berliner Ärztekammer, am Fernsehturm sowie vor dem Rathäusern Weißensee, Prenzlauer Berg, Tempelhof, Mitte und Neukölln.

Wo liegt die politische Brisanz dieser Ausstellung?
Die Ausstellung war als politischer Protest gegen die fortdauernde Ehrung von Bonhoeffer gedacht. Er hat in der Nazizeit nicht nur serienweise Gutachten für Zwangssterilisationen geschrieben und war Richter am Erbgesundheitsobergericht, sondern wurde sogar noch 1942 von Hitler zum außerordentlichen Mitglied des wissenschaftlichen Senats des Heeres-Sanitätswesens ernannt. Seit Jahren fordern wir daher die Umbenennung der Klinik in Berlin, die noch heute seinen Namen trägt. Doch die Klinikverantwortlichen weigern sich, obwohl seit 1993 Zwangssterilisationen vom Deutschen Bundestag als Naziunrecht anerkannt werden. Mit den Skulpturen wird die fehlende Verbindung zwischen der rassistischen Ideologie und ihrer mörderischen Verwirklichung im Holocaust durch die Zwangssterilisation sichtbar gemacht, daher der Name "Missing Link".

Warum platzte die Polizei in die Ausstellung?
Erst am Mittwoch erfuhren wir, dass sich die Polizei für die Angelegenheit interessiert und ein Beschlagnahmebeschluss des Amtsgerichts Tiergarten vorliegt. Hintergrund ist ein Ermittlungsverfahren wegen Diebstahls der Büsten. Während der Vernissage wurden die Büsten beschlagnahmt und in ein Polizeiauto transportiert. Auf die Angebote der Moderation, die Büsten wenigstens bis zum Ende der Veranstaltung stehen zu lassen, ließ sich die Polizei nicht ein. Damit wurde öffentlich sichtbar, dass ein NS-Unrechtsarzt wie Karl Bonhoeffer nicht nur weiterhin öffentlich geehrt, sondern von der Polizei auch noch geschützt wird.

Welche Schritte planen sie jetzt?
Wir haben schon unseren Anwalt eingeschaltet und klagen auf Herausgabe der Skulpturen. Auch die Volksbühne als Veranstalterin legte Widerspruch gegen die Beschlagnahme ein. Aus juristischer Sicht ist die Beschlagnahmeaktion nämlich nicht haltbar, weil nach ¤ 950 BGB die Schaffung eines neuen Kunstwerks ein neues Eigentum begründet, selbst wenn die Materialien dafür gestohlen sind. Dazu gibt es auch ein entsprechendes Gesetz. Aber letztlich ist das ganze eine politische Entscheidung. Sollten wir die Skulpturen zurückbekommen, wollen wir die Ausstellung an den vorgesehenen Orten nachholen. Im Anschluss schlagen wir als Dauerstandort für die beiden Figuren das Klinikum Berlin-Buch und das Foyer des Deutschen Bundestages vor. Wir finden es wichtig, kein opferbezogenes Denkmal aufzustellen, sondern eins, dass die Täter in das künstlerische Blickfeld nimmt.
Interview: Peter Nowak

© scheinschlag 2000
Inhalt dieser Ausgabe | Home | Aktuelle Ausgabe | Archiv | Sitemap | E-Mail

  Ausgabe 06 - 2000