Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
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"Gegensätze ziehen sich an"
SchokoLaden" - Zehn Jahre Genussmittel aus Mitte

Samstagnachmittag in Mitte, das gutgelaunt daherschlendernde Ehepaar bleibt stehen, blickt die Fassade hoch. Sie scheinen überrascht, in dieser pastellfarben gestrichenen Straße auf dieses Haus getroffen zu sein. Schließlich geht die Frau auf die gegenüberliegende Seite und macht ein Foto. Offensichtlich ist sie mit ihrem Fundobjekt zufrieden und packt die Kamera wieder ein.

Der fertige Abzug wird eine mit Grünpflanzen berankte, rissig graue Fassade zeigen. Am Erdgeschoss grellbunte Bilder und Veranstaltungsplakate. "ZAR" ist in großen Neonbuchstaben zu lesen. Der Schriftzug "Schokoladen-Fabrik" etwas versteckter. Die beiden werden jedoch nicht wissen, dass sie vor dem seit zehn Jahren existierenden Kulturkneipenprojekt "SchokoLaden" gestanden haben.

"Guten Tag, wir sind nett!"

Schon im Oktober 1990 wurde in dem besetzten Haus in der Ackerstraße 169 die erste Bierflasche geöffnet, allerdings lag der offizielle Kneipenbetrieb noch in weiter Ferne. "Das Bier kam aus dem Kasten, war warm, und wir waren gerade mitten in der Instandsetzung", erinnert sich Katja, eine der Initiatorinnen, die von Anfang an dabei war. Doch in dem Gewaltakt des Erdgeschossausbaus wurde so etwas wie die Grundstimmung für den späteren "SchokoLaden" festgelegt: viel Eigeninitiative, unerschütterliches Improvisationstalent und künstlerische Aktivitäten - und immer die gute Laune behalten. Die, mittlerweile legendären, Freiräume der Umbruchssituation setzten ungeahntes kostenloses Engagement frei. Der Ausbau wurde dennoch ziemlich professionell geplant. "Es gab getrennte, und vor allem funktionierende Klos; und die auch gleich mehrfach", betont Auge, ebenfalls einer der ersten Stunde und mittlerweile als Comic-Künstler bekannt. "Noch dazu waren die Klos bis auf Kragenhöhe gefliest." Irgendjemand schien die Gesetze der Bauaufsicht zu kennen - und ihnen auch Beachtung zu schenken. Eine Seltenheit damals, aber damals waren selbst die Kneipen selten in Berlin-Mitte. Die ersten Neugründungen waren die Buchhandlung und der Eimer, später kamen noch das CC, die Assel und das Zosch dazu. Das war`s dann auch erstmal.

Mehr oder weniger zufällig hatten sich vor allem Künstler in der Ackerstraße zusammengefunden, so dass es nahe lag, den "SchokoLaden" vor allem als kulturelles Aktionsfeld zu nutzen. Der Getränkeausschank lief anfangs eher nebenher für die "Vereinsmitglieder" des Hauses, womit auch die finanzamttaugliche Variante gefunden war. Neben zahlreichen Partys (an die Fischkopfpartys erinnert man sich lebhaft), Ausstellungen und Lesungen, - unter anderem tagte hier bis vor kurzem allsonntäglich die "Reformbühne Heim & Welt" -, fanden vor allem Konzerte von Punk über Rock bis hin zu Jazz statt. So spielten auf der kleinen Bühne Bands wie Pothead, Bobo in White Wooden Houses, Golden Acker Rhythm Kings, Inchtabokatables, Space Hobos, Desaster Area, die Trottel und Zubenethy. Die Bands spielten für das Eintrittsgeld, mehr war für den "SchokoLaden" nicht drin. "Wir können ihnen auch heute nur das Angebot machen: Guten Tag! Wir sind nett!", so Auge, der selbst im Duo mit Hering seemannsartiges Liedgarn bei seinen Auftritten verspinnt.

Uschi-Preise

Hinter dem Wohnhaus Ackerstraße 169 liegt auf dem Hofgelände die eigentliche ehemalige Schokoladenfabrik, deren Gebäude zu Ateliers und einem Theater- und Probenraum umfunktioniert wurden. Niemand geringeres als der inzwischen an die Schaubühne verschlagene Thomas Ostermeier hat hier noch als Student seine Theateraufführungen inszeniert. Derzeit spielt das "Orphtheater" dort. Und für die Musiker gibt es in den Kellern die Möglichkeit zu proben, an deren Qualitätsfortschritte zumindest das Erdgeschoss sporadisch teilnehmen kann.

Im Laufe der Zeit hat der Kulturkneipenbetrieb professionelle Legalität erreicht, ein amerikanischer Barkeeper führte die ersten Cocktails und Longdrinks ein, unter denen der "Bloody Mary" ein Renner wurde. Die Cocktails sind heute zum festen Angebot am Dienstagabend geworden - und das zu einem unvergleichlich günstigen Preis. Das Bier kommt zwar immer noch aus der Flasche, aber jetzt gut gekühlt und ebenfalls billig. "Mit den Preisen konkurrieren wir eher mit ,Uschi´, der Berliner Alltagskneipe ein paar Häuser weiter, als mit den Lokalen am Hackeschen Markt. Auch in Zukunft wird die Preispolitik so freundlich wie möglich sein", so Auge. "Uns geht es nicht um Gewinn", ergänzt Katja, "einen kontinuierlichen Umsonstanteil an Arbeit wird es weiterhin geben." Ungefähr fünfzehn Leute tragen den Kollektivgedanken mit, alle Entscheidungen werden auf dem Kultur- oder Kneipenplenum gemeinsam getroffen. Die Theke funktioniert immer noch als informeller Stützpunkt für diverse Kunst- und Kulturaktionen. Und selbst das Frauenklo bleibt nicht verschont, sondern wird je nach Laune mit Liebe zum Detail durch Blumen oder Kerzen verschönert.

Made in ´92

Das Hoffest, das zum zehnjährigen Bestehen vom 14. bis 16. Juli in diesem Jahr gefeiert wird, weist ganz nebenbei auch auf die schlichte Tatsache hin, dass man weiterhin vor Ort ist. In einer Umgebung, die mittlerweile mit Chill-Out-Areas, ausgefeilten Beleuchtungssystemen, weißen Ledersesseln und Aquarien nachrüstet. Der "SchokoLaden" hat im Gegenzug schon wieder das Zeug zum Klassiker. "Theoretisch könnten wir damit werben: Ein Laden wie ´92", meint Auge, "damals waren wir mainstream, heute ist das ,Maria am Ostbahnhof´. Die Veränderungen in Mitte bedeuten eher, dass an die zweihundert Stammgäste weggezogen sind." Trotzdem ist das Publikum weiterhin gemischt. So trifft sich der Chor der Elisabethkirche allwöchentlich zum Stammtisch, die Konzerte werden auch von 18-jährigen besucht, viele Frauen kommen gern alleine hierher und die Besucher der "Seven Lounge" sind manchmal ihrer Lounge überdrüssig und suchen Abwechslung. "Gegensätze ziehen sich an", so die einhellige Einschätzung der näheren Zukunft.
sas

10 Jahre SchokoLaden: Hoffest vom 14. bis 16. Juli, Ackerstraße 169, Mitte
14.7. ab 21 Uhr, Freitag ist Freutag: "Auge mit Hering", als Gast: Sarah Asling, die ihre neuen romantischen Folksongs vorstellt.
15.7. ab 21 Uhr, Film und Musik, es spielen "Sad Affair" und "Sunset Seeds", im Anschluss die "Elektronauten" mit einer Ambient Sound Installation.
16.7. ab 12/13 Uhr, Flohmarkt mit Frühstück im Hof, bei Regen in der Tordurchfahrt und drinnen, ab 20 Uhr, Lesung der Schokoladenseite, O-Ton Ute.
Die restlichen Tage des Jahres von 20 bis 2 Uhr (Fr/Sa ab 21 Uhr, So ab 19 Uhr) geöffnet.

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