Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
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Wie in Berlin, so auch in Potsdam

Innenminister Schönbohm will nun auch eine besetzerfreie Landeshauptstadt

Lang ist es her, dass Berliner HausbesetzerInnen ins Umland auswichen. Während in der Hauptstadt unter Innensenator Schönbohm kein Haus länger als 24 Stunden besetzt blieb, konnte in Potsdam, Kleinmachnow etc. gemäß der Brandenburger Linie ein Haus schon mal einige Monate gehalten werden. Seit einigen Monaten ist Schönbohm Innenminister von Brandenburg und setzt jetzt die Polizeistaatsmethoden um, die er sich in Berlin noch nicht traute.

Das bekamen jetzt die letzten Potsdamer HausbesetzerInnen zu spüren. Anlass war ein Zimmerbrand im Seitenflügel eines seit 1994 instandbesetzten Kulturzentrums in der Potsdamer Kurfürstenstraße. Während der Eigentümer die BesetzerInnen tolerierte, nutzte die Polizei den Brand, um das Haus unter Einsatz von Tränengas zu räumen. Die BewohnerInnen wurden so obdachlos und mussten bei Freunden unterkommen. Zeitgleich postierte sich bewaffnete Polizei vor mehreren besetzten Häusern und politischen Zentren. BewohnerInnen berichteten auf einer Pressekonferenz, sie seien mehrmals am Verlassen der Häuser gehindert worden. Selbst Einkaufen durften sie nicht. "Das können die Nachbarn für Euch erledigen", bekamen sie von der Polizei zu hören.

Alle Demonstrationsversuche Anfang Juni wurden von der Polizei rigoros verhindert. Menschen, die nicht in Potsdam gemeldet sind, bekamen mehrtägige Stadtverbote. Bis zu 70 Personen kamen 4 Tage in Unterbindungsgewahrsam. Damit wurde das schon im Vorfeld von Bürgerrechtsgruppen heftig kritisierte Brandenburger Polizeigesetz erstmals praktiziert.

Die Kampagne gegen Wehrpflicht, Zwangsdienste und Militär sieht in der aktuellen Eskalation den Versuch der großen Koalition in Brandenburg, Potsdam bis zum Beginn der Bundesgartenschau im nächsten Jahr hausbesetzerfrei zu machen. Doch die Hetze hat noch andere Gründe. In rechten Kreisen werden zunehmend die letzten noch besetzten Häuser und Zentren zum Angriffsobjekt. Die CDU fordert den Abriss der noch besetzten Häuser. Ein CDU-Abgeordneter verglich Proteste der BesetzerInnen gar mit der Reichspogromnacht der Nazis 1938. Das ging selbst Schönbohm zu weit. Ansonsten aber beteiligt sich selbst die eher liberale Presse an der Kampagne gegen die nichtangepasste Minderheit, statt für deren Bürgerrechte zu streiten. So wurden in der Potsdam-Ausgabe des Tagesspiegel sämtliche Klischees über "schmutzige, verwahrloste Hausbesetzer" verbreitet.
Peter Nowak

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