Ausgabe 06 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Musik für die Massen

Große Töne

In dem Presseinfo zum neuen Werk der Delgados (Beggars Banquet) steht: "Nun melden sich die vier aus Glasgow mit "The Great Eastern" zurück. Benannt wurde das Album nach einem der bekanntesten und größten Gebäude Glasgows: dem Great Eastern, einem Heim für Obdachlose und Drogenabhängige". Das Gebäude ist, wie sich auf dem Cover erkennen läßt, in der Tat beeindruckend. Es erinnert an die Architekturparade der Karl-Marx-Allee. Gleichfalls beeindruckend sind die Arrangements mit denen die Delgados hier auftrumpfen. Aber wie beim architektonischen Namensgeber geht es nicht um Glamour, sondern um Monumentalität. Art-Rock mit orchestraler Instrumentierung, und es stellt sich die Frage, wie viele Musiker sich auf der Bühne tummeln müssen, um dies live zu erzeugen. Natürlich führt eine solche Konzeption unweigerlich zu einer ganz besonderen Aufmerksamkeitsökonomie, denn einfach mal nur nebenbei hören, ist schwierig, ständig wird das Ohr gefordert und gekitzelt. Monumentale Überwältigungstrategie eben.

Spezialisten in Sachen Kitzel und großen Tönen gleichermaßen waren bisher auch Ween. Die Pseudobrüder Gene und Dean Ween haben auf ihren grandiosen Vorgängeralben einen Kommentar zu so ziemlich jedem Ableger des Rock-Business abgeliefert, serviert mit einer dicken Soße aus Ironie. Und jetzt: White Pepper (Zomba). Tauchten zuvor immer irgendwelche Qua(r)kstimmen auf, führte ein Song kompromisslos in Richtung Kitsch, während ein anderer das Klischee der pubertierenden College-Band bediente, sucht man auf White Pepper vergeblich nach Schenkelklopfern. Wer sich dennoch auf die Schenkel klopft, findet sich in einer Wolke staubfeinem Humor wieder. Voll subtil alles, diesmal.

Alles andere als subtil ist die neue FuschiMuschi, die seltsamerweise ganz kleinlaut ABC (Community/Virgin) betitelt wurde. Sample an Sample unter einem eleganten Groove-Glamour-Anzug. Funk, Groove, R«n«B (das was früher mal Soul war), Groove, HipHop, Groove... ein wenig so, wie wenn ein bekiffter TV-Maniac durchs Programm zappt und hinterher erzählt, dass er eigentlich die ganze Zeit nur einen Film geschaut hat. Höhepunkt und Quintessenz dieser Veranstaltung ist sicherlich Coolin« in my Cabrio. Im lässigen Zappa-Style chillt es fast vier Minuten auf der Fahrt mit offenen Verdeck durchs Candy-Crispy-Wonderland. Real cool.

O.K. zum Runterkommen: Größe zeigen in den kleinen Dingen: Elliot Smith, seines Zeichens Songwriter. In irgendeinem Musikmagazin stand, dass ihm zum richtigen Songwriter die breiten Schultern fehlen, die männlich markante Stimme. Sechs setzen, nix kapiert! Liegt die Kunst doch nicht in physischer Größe, sondern in den Gesten. Natürlich geht es um die wirklich großen Dinge des Lebens (wie eine unglückliche Liebe) und auch darum, diese in ihrer ganzen Tiefe und Schwere zu entfalten. Und wie bittersüß das mit einer Gitarre - und manchmal auch mit ein wenig Orchester - gehen kann, zeigt Elliot Smith auf Figure Eight (Motor). Nur braucht man dazu weder jungenhaftes Leidensgehabe noch breite Schultern..
Marcus Peter

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