Ausgabe 03 - 2000berliner stadtzeitung
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Für fünf Millionen von den Filetstücken, bitte...

Mit dem Slogan "Kauft eure Stadt!" wirbt die neue "Bürgerstadt AG" um Aktionäre

Deutschland ist im Börsenfieber. Immer mehr Menschen legen Geld in Aktien an. Seit dem Börsengang der Telekom ist der Stand des Dax fester Bestandteil der Tagesschau, noch vor den Lottozahlen. Die Börse erscheint wie ein großes Glücksspiel mit undurchsichtigen Regeln: Schaut der Zentralbankchef mal etwas grimmiger drein, könnte das heißen, dass die Leitzinsen erhöht oder gesenkt werden. Schlagartig werden die identischen Männchen auf dem Parkett noch hektischer als sonst, telefonieren mit drei Handys gleichzeitig und machen komische Handbewegungen in die Luft. Am Ende hat der Aktienindex ein neues Rekordhoch erreicht. Im Gegensatz zum Zocken auf der Galopprennbahn scheinen beim Glücksspiel Börse alle immer nur zu gewinnen, niemand zu verlieren.

Durch den Boom beflügelt, werden mittlerweile auch in Bereichen, die mit der Börse bisher nichts zu tun gehabt haben, Aktiengesellschaften gegründet, zum Beispiel in der Stadtentwicklung: In Berlin hat sich am 29. Februar die "Bürgerstadt AG" gegründet. Bürger sollen sich als Aktionäre an einer "bürgerstadtorientierten Stadt- und Wohnungsbauentwicklung" beteiligen, so Winfried Hammann, Stadtsoziologe und Vorstandsmitglied der AG. Die Aktiengesellschaft finanziert über den Verkauf von Anteilen den Bau von innerstädtischen Wohn- und Geschäftshäusern. Als erstes Modellprojekt haben die Bürgerstädter die Fläche neben der Friedrichwerderschen Kirche ins Auge gefasst, wo sie Wohngebäude errichten wollen.

Shareholder-Planung

Das Besondere an der Bürgerstadt-Idee ist, dass der Aktionär mit dem Kauf der Aktie über die Planung, den Bau und die Nutzung mitbestimmen kann. Die Projekte sollen - so der Anspruch - bürgernah, kleinteilig und stadtverträglich realisiert werden. "Stadtreparatur" betreiben, das Wohnen in die Innenstadt zurückbringen und die Eigentumsquote erhöhen, ist das Ziel der Bürgerstadt AG.

Die Entscheidung, eine Aktiengesellschaft zu gründen, ist auch eine Reaktion auf die veränderte Steuergesetzgebung. "Die großzügigen steuerlichen Abschreibungsmöglichkeiten sind nicht mehr da", so das zweite Vorstandsmitglied Karl Biechteler, der bisher als Projektentwickler für große Baufirmen tätig war. "Die Zeit der anonymen Immobilienfonds ist um", pflichtet ihm sein Vorstandskollege Hammann bei. Er hält eine Aktiengesellschaft dagegen für die "potenziell demokratischste" Form, weil die Aktionäre über das Unternehmen bestimmen.

Soziologische Rückendeckung

Um dem "normalverdienenden Berliner" Mitsprache zu erleichtern, soll die Aktie möglichst breit gestreut werden. Den Einstieg eines großen Mehrheitsaktionärs will man mit einer Beteiligungshöchstgrenze von 20 Prozent verhindern. "Im Moment gibt es von den Großen kein Interesse", sagt Hammann, "doch eine heiße Übernahme ist nie ausgeschlossen."

Die Aktiendemokratie soll auch die Besetzung des Aufsichtsrats gewährleisten: Hier sitzen unter anderem der Vizepräsident der Akademie der Künste, Matthias Flügge, der Wirtschaftssoziologe Joseph Huber und der Stadtsoziologe Hartmut Häußermann. Unter den Gründungsmitgliedern befinden sich weitere Protagonisten der sozialen Stadterneuerung wie die Historikerin Ludovica Scarpa oder auch der "Masterplaner" Dieter Hoffmann-Axthelm.

Planwerk immer dabei

Wer dabei das Planwerk Innenstadt um die Ecke biegen sieht, liegt genau richtig. Nicht zufällig finden die von den Bürgerstädtern entwickelten Projekte auf den Flächen statt, die der "Masterplan" zur Bebauung freigegeben hat. Neben dem Friedrichswerder sind das der Große Jüdenhof am Molkenmarkt, die Blockrandbebauung an der Alten Jakobstraße und Sebastianstraße sowie der Bau einer Zeile an der Schlossfreiheit. Winfried Hammann selbst ist Mitglied des Stadtforum-Lenkungsausschusses beim Stadtentwicklungssenator, in dessen Haus das Planwerk Innenstadt ausgebrütet wurde. Auch wenn sich die Politik aus der Aktiengesellschaft heraushält, kann man die Bürgerstadt AG als Durchsetzungsinstrument des Planwerks bezeichnen.

Dessen Umsetzung krankt immer noch an den hohen Grundstückspreisen in innerstädtischen Lagen. Ein Problem, mit dem sich auch die Aktionäre herumschlagen werden müssen. Der Verkehrswert der Grundstücke liegt mit 6000 Mark pro Quadratmeter so hoch, dass sich Wohnungsbau hier nicht lohnt. Die Senatsfinanzverwaltung tut sich bisher aber noch sehr schwer damit, die landeseigenen Flächen unter dem Verkehrswert zu verkaufen.

Stadtbekenntnis-Community

Auch das Idealbild des selbstgenutzten Wohneigentums in der Innenstadt hat die Bürgerstadt AG aus dem Planwerk übernommen. Doch von den tausenden Aktionären, mit denen Winfried Hammann rechnet, wird nicht jeder eine Wohnung bekommen. Man wird aber Optionsscheine und Vorkaufsrechte anbieten.

Der Käufer der Aktie wird eine gute Portion Idealismus mitbringen müssen: Er sollte nicht in erster Linie auf die Rendite schauen, sondern sich mit dem Projekt identifizieren. Karl Biechteler nennt das Wertpapier denn auch eine "Stadtbekenntnisaktie". "Nur die Probe auf´s Exempel kann beweisen, dass in Berlin sehr wohl Kapital, Engagement und Innovationsbereitschaft mobilisierbar ist", meint Winfried Hammann zuversichtlich: "Vielleicht gelingt uns sogar eine Art Communitybildung, die zur Nachahmung reizt."

"Von der Marktseite wäre alles getan, was getan werden kann, damit das Wohnen in der Stadt für mittlere Einkommen bezahlbar wird - den anderen Schritt muss dann die Stadt tun", so Hammann weiter. "Wie weit man dabei auch in untere Sozialschichten vordringt, kann nur die Praxis zeigen."

Demokratie durch Aktien?

Man kann ziemlich sicher sein, dass die "unteren Sozialschichten" nichts davon haben - im Gegenteil. Wer Geld in Aktien anlegen kann, dürfte eher im oberen Einkommensdrittel anzusiedeln sein. Eine soziale Durchmischung der neuen Bürgerstadt-Quartiere ist Illusion.

Ob eine Aktiengesellschaft demokratischer organisiert ist als etwa eine Genossenschaft, kann angezweifelt werden. Doch bringt die interne Demokratie eines Unternehmens noch lange keine demokratische Stadtplanung mit sich. Die ist immer noch eine öffentliche Angelegenheit, an der alle beteiligt sind, auch die Nicht-"Eigentumsfähigen". Auch die basisnächste Volksaktie könnte überdies nicht das Demokratiedefizit des Planwerks Innenstadt ausbügeln.

Bleibt die Frage nach dem Börsengang. Man strebt zunächst einen Kapitalstock von rund fünf Millionen Mark an. Experten meinen hingegen, man müsste schon 50 Millionen parat haben. Schwer vorstellbar ist auch, dass die Bürgerstadt-Aktie an der Börse ein Selbstläufer wird wie Internet- oder Telekommunikationswerte. Wer setzt eine Mark auf die Berliner Stadtentwicklung, wenn diese vom heutigen politischen Personal bestimmt wird?
Jens Sethmann

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