Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
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Die Behausung der Macht

Ernst Jünger revisitet?

Man stelle sich eine Unmasse ungebildeter, marginalisierter und am Rande stehender Menschen vor, eine Masse, die von ihrer Chancenlosigkeit geduckt wird. Aus ihr ragen nur Wenige heraus, Formate von Übergröße, die alle Lebendigkeit und alle Hoffnungen auf sich konzentrieren und wie Halbgötter aus dem Gewusel der Vielen ragen. Das ein-undzwanzigste Jahrhundert werde ein Jahrhundert der Titanen sein, mutmaßte Ernst Jünger, eine Ära in der aus einer Masse von Heloten, ungebildeten Arbeitssklaven, wenige Heroen herauswüchsen, die gleich Übermenschen am Firmament stünden. Soll man diesen Satz wie ein Mantra murmeln, wenn man in der S-Bahn sitzend den Spreebogen überquert und südwärts blickt? Sollte man vielleicht um das sogenannte Pathos der Geschichte zu spüren in einer der alten Zuggarnituren sitzen, die den zweiten Weltkrieg überlebt haben und noch kurz auf die Zeitungslektüre möglichst kleinbürgerlicher Nachbarn schauen, um dann wieder auf den Tiergarten und die dahinter emporragenden Hochhäuser zu sehen? Dieser Klotz wird nicht zu übersehen sein, der vor der Kulisse des Debis Areals und des Sony Geländes aus einem langgestreckten, abweisenden Bauwerk emporragt. Würde dann nicht der bekannte Warnhinweis eines antifaschistischen Argwohns im imaginären Menue des geistigen Operators sich öffnen, wenn dieses Monument bedacht würde? Der untere zwanzig Meter hohe Baukörper ist brutal karg, aus dem fast vierzig Meter hohen Kubus ist ein großer halbkreisförmiger Bogen ausgeschnitten Ñ je weiter die S-Bahn nach Westen fährt, desto mehr öffnet sich das Ensemble, das von zwei Trakten umschlossen ist, in eine Art begrünten Hof, umgeben von zwei langgestreckten kastenförmigen Baukörpern und der Säulenfassade des Mitteltraktes, dann der lange Garten, der sich über die Spree zieht und in einer Art Atlantikwall aus Beton endet.


Die Ortsbegehung, die nur auf Einladung möglich ist, hat sich schon längst mit dem ständig aktivierten Warnknopf im Geiste abgefunden: was da am Rande des Tiergarten entstanden ist, könnte das Filmset einer Reichskanzlei aus "Star Wars" sein. Wer das Foyer des Gebäudes betritt, gelegen hinter der Säulenfassade des Gebäudes, mit dem Wendeplatz im sogenannten Ehrenhof, der von zwei Gebäudeflanken, die wie Gefängnismauern wirken, gesäumt ist, sieht sich von einem Treppenhaus imperialer Ausmaße erschlagen, dessen weitgeschwungene Treppenfluchten an barocke Inszenierungen transzendenter Macht erinnern. Über dem Kopf wölbt sich eine riesige Halbmuschel aus Sichtbeton, eine Halle, die licht und hell ist und trotzdem einer Phantasie Gigers entsprungen sein könnte, weil alle Wände zerfließen und es keinen Raum mehr zu geben scheint, der Struktur und berechenbare Ordnung hervorbrächte. Die Zeit, da Demokratie Transparenz und Rationalität bedeutet hatte, scheint vorbei, Dinge und Räume geben keinen Halt. Der Ort ist bedrohlich, wer da residiert, zeigt weder Verläßlichkeit noch Berechenbarkeit, sondern nur mythische Distanz. Über dem Eingang schwebt in der Muschel eine Glaslinse, die das Fenster des abhörsicheren sogenannten NATO-Konferenzraumes bildet, eine ultimative Geste Ñ als wären die Aufklärung und die mit ihr verbundene Hoffnung Geschichte. Der Gedanke, dass ein demokratischer Regirungs-chef ein Haus bewohnen sollte, das dem eines guten Bürgers gliche, wie das "Weiße Haus" dem eines Gentleman. Ist die aufgeklärte Hoffnung des achtzehnten Jahrhunderts, ist diese Humanität zeitgleich mit dem Sozialismus untergegangen, damit ein neuer barbarischer Bastard an Zeichensetzungen entstünde, der die Macht pur und rein darstellen würde?

Man mag sich an die Auftaktsitzung des Parlamentes in Berlin erinnern, als Belgrad wider das Völkerrecht von der NATO bombardiert wurde. Auch ließ die NATO in jenem Frühjahr jede defensive Verbrämung fallen und definierte ihre Ziele zukünftig weltweit als offensiv Ñ die Fassade der gesitteten Humanität hat sich jetzt als Farce entlarvt und die Welt taumelt in das einundzwanzigste Jahrhundert ohne eine große Erzählung, die den Dschungel des Lebens lichten würde. Ist es die Wiederkehr der Melancholie des Barockes, als die Christen sich in Konfessionskriegen mit einer Grausamkeit abschlachteten, die die vorherigen Zeiten nicht gekannt hatten? Ein Treppenhaus in den Ausmaßen der Würzburger Residenz, der "dicke Knüppel" im Foyer: die Reverenz an die NATO. Er ist kein eigener, einer, der aus eigener militärischer Stärke resultieren würde Ñ nichts verdeutlicht stärker die tatsächliche Impotenz wie der ältere Bruder, der zitiert wird. Ein Zitat aus den Fünfzigern, das Drohen mit den mächtigen Freunden aus Übersee war immer eine Konstante der Politik Adenauers gegenüber Moskau, und die Tatsache, dass der Sitzungsaal die Sichtachse des Gebäudes bestimmt, verdeutlicht die tatsächlichen Minderwertigkeitsgefühle der Konservativen in der entstehenden Berliner Republik, die nie mehr Großmacht aus eigener Kraft sein kann.

Das Gebäude ist außen schmucklos und innen leer. Man könnte über das Innere räsonnieren, was nur ein endloses Wirrwar von Gangfluchten darstellt, wahrscheinlich mit der Tristesse gehobener Büroausstattung. Den Garten beschreiben, der von einer rückwärtigen Säulenfront dominiert wird und die Heimeligkeit einer Autobahnauffahrt besitzt. Insofern ist dieses Gebäude sehr modern, geradezu auf eine brutale Weise frivol, weil es gebauten Pathos besitzt ohne ein Inneres zu haben, ohne eine Reverenz an Schönheit und Stil zu leisten. Ein Projekt der Leere, des aufgeblasenen Fernsehlächelns, ob es Clinton, Blair oder Haider heißt, ob es Millenium Dome oder Kanzleramt heißt, eine Baumasse im Zeichen von MTV oder der Love Parade, die mit ihrer Million Raver hausieren gehen, obwohl Techno längst Geschichte ist.

Kanzler Kohl wollte gebaute Masse: Ein Regierungsgebäude ist projektiert worden, dessen Ausmaße eher dem Amtssitz Ceaucescus angemessen sind. Um das vorgegebene Bauvolumen, welches das des weißen Hauses in Washington um ein Vielfaches übersteigt, halbwegs füllen zu können, residieren die Mitarbeiter des Kanzlers in Büros, deren Fenster auf Wintergärten führen, in denen kleinere Mietshäuser ohne weiteres Platz gehabt hätten. Weil Kohl auch auf der doppelten Höhe des Mittelteiles bestand, wurde, weil die Baumasse beim besten Willen nicht mehr zu füllen war, die Traufenhöhe der Seitenflügel abgesenkt. Das ursprünglich geplante Band der Demokratie, was das Bundeskanzleramt durch ein Bürgerforum mit den Bürobauten für die Parlamentarier verbunden hätte, ist jetzt Makulatur.

Weil er nicht wußte, wie dieser Mittelbau ornamental zu gliedern sei, nahm der Architekt für ihn Anleihen an orientalischen Palästen: Über dem kompakten unteren Teil thront ein aufgelockertes Oberteil. Die Säulen werden Bäume tragen und sanft geschwungene Formen haben, die organisch wirken könnten: scheinbar perfekt lassen sich organische und ökologische Elemente in einen autoritären Gestus integrieren. Doch da der angespannte Bundeshaushalt die Bauvergabe an süddeutsche Fachfirmen nicht zuließ sind die Sichtbetonarbeiten teilweise von so schlechter Qualität, dass einige Wände Verblendungen aus Naturstein erhalten, der restliche nackte Rest bildet eine schäbige Angelegenheit und entpuppt das Bauvorhaben als Größenwahn, der nicht mehr bezahlt werden konnte.

Insofern ist dieses Bauwerk Symbol des neuen Berlin, trister Zitate der Zeiten als, die Stadt scheinbar noch Glanz und Gloria hatte, zumindest das, was mediokre Charaktere dafür halten, und jetzt in ihrer Leere verwirklicht sehen wollen; Olympia (im alten Stadion) und nun ein Forum des Bundes (da wo Speer die große Halle des Volkes bauen wollte), die Liste könnte ewig lang sein und verriete ein Recycling an Geschmacklosigkeit und inhaltsloser Gier nach Größe, das den modernen Konservativen anhaftet, Karrieristen, deren einzige Frivolität eine diskrete braune Entgleisung ist. Man könnte natürlich auf den Inhalt der Symbole eingehen, die dieses Milieu hervorbringt und gewisse Affinitäten feststellen Ñ man würde nur auf den Inhalt der Fenster blicken, die da im Menue aufgerufen werden, und nicht auf das Programm, was diese Fenster aufspringen läßt, sie verschiebt und sie per Mausklick wieder entsorgt.
Götz Müller -Zimmermann

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