Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Kein Ort nirgends

Musik für die Massen

In einer der letzten Besprechungen wurde hier die These aufgestellt, dass Musik trotz aller Globalisierung stets an Heimat festhält: Possen (East- vs. Westcoast) oder Schulen (Hamburg oder Weilheim) - immer geht es um Verortungen in Tradition und Region.

Nicht immer: Drei Gegenbeispiele.
Contriva kommen aus Berlin. Und schon meinen die ein- oder anderen hier das neue Ding entdeckt zu haben: Berlin nach Techno. Das Kuriose daran ist, das Contriva zwar eng im Berliner Musikantenstadel verwoben ist (zwei der vier spielen auch bei Mina mit), doch hört sich ihre Musik so überhaupt nicht nach Kiez, Kellerclub oder Hauptstadt an. Vor ein paar Jahren hätte man es Postrock genannt und irgendwie denkt man auch an Sterolab. Postrock, weil Contriva auf Tell Me When (Monika/Lok) bis auf eine Ausnahme ohne Gesang auskommen. Stereolab, weil die mitschwingende Melancholie eher groovt, als dass sie die Seele in Abgründe stürzt. Und damit der Groove nicht die ganze schöne Besinnlichkeit abträgt. Tell Me When ist auch eine Zeitmaschine und es ist immer noch sonntagnachmittag.

Einmal im Monat lädt die "Neue Berliner Initiative" (NBI) in den Garten der verschlungenen Pfade. Vertüfftelte Klänge, Raumklanginstallationen und überlagernde Schichtungen lautet das Konzept. Hinter diesem Modell steht so etwas wie Aufhebung von aktuellen Zeit- und Raumbezügen. Durch massive Überlagerungen und Zitate verschwindet die unmittelbare Zuordnung: Nirvana vor einem Nachrichtensample abgelöst durch klackernde Eiswürfel im Glas. Die einzelnen Tracks gewinnen zwischendurch immer wieder Hörspielcharakter und lösen sich dann in Richtung Minimaltechno auf. Anlaß für die vorliegende Veröffentlichung bei Staalplaat ist das einjährige Bestehen der Lounge für experimentelle Musikkultur oder eben auch dem "Garten der Verschlungenen Pfade". Zeit, als etwas sich jeden Moment neu entwickelndes, zeichnete die einzelnen Performances aus. Wie wundersame Kristalle, die schockgefroren aus diesem Kontext herausgelöst sind, so glitzert dieser Tonträger.

Einem ähnlichen Ansatz fühlt sich DJ Krush verpflichtet. Ein wenig funktioniert Code 4019 (Columbia) wie der letzte Jim Jarmusch Film Ghost Dog: Es geht um ein übergeordnetes Prinzip (hier HipHop dort der Samurai), dem sich alles andere unterzuordnen hat. Das führt zu ungewöhnlichen Begegnungen und Konstellationen. Nichts bleibt mehr für sich. Das konsequente (Lebens-) Prinzip schlägt Wellen, die irgendwann jedes noch so entfernte Ufer erreichen. DJ Krush wurde Anfang der achtziger von den Wellen des HipHop-Films Wildstyle in Japan umspült. Inzwischen surft er souverän auf seinem HipHop-Board springt von Techno zu Jazz, von Dub zu bulgarischem Chorgesang. Das läuft wie Jarmusch, wo verschiedene Welten in einem Cultural Clash aufeinanderschlagen.

Natürlich treffen einen diese Kapriolen von Mischpult und Plattenspieler nicht mehr gänzlich unerwartet . An den seltsamen Ergebnissen dieser Kreuzungen kann man sich jedoch, ähnlich wie an Jarmuschs sympathischen Figuren, die sich in einer leicht verkanteten Welt zu bewegen scheinen, auf herzlichste erfreuen.
Marcus Peter

Der nächste Garten der verschlungenen pfade findet am Freitag den 4.3. In der NBI, Schönhauser Allee 8 HH, ab 22 Uhr statt.

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