Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Das sinnliche Dunkel der Bühne

"Nachträume" im Theater unterm Dach aus dem Blickwinkel einer bekennenden Nicht-Expertin

Es wird dunkel. Die Frau hinter uns muss die Suche nach ihrer heruntergefallenen Brille abbrechen. Was sie jetzt wohl noch sehen kann? Die Leinwand im Hintergrund ist mit einem unangenehm grell-blauen Licht erleuchtet. Davor stehen ein paar Stühle und ein Tisch, der wie eine Strasse aussieht, die in den Horizont führt. Aus den Lautsprechern dröhnt jazzige Elektronikmusik mit harten Technobeats und im Abseits der Bühne wird ein Schatten sichtbar. Den Konturen her zu urteilen, ist es eine Frau. Sie steht vor einem Mikro und singt. Aus dem Off antwortet ihr eine Männerstimme, auf Deutsch. Plötzlich geht das Licht an, die Frau (Amina Gusner-Körner) rennt hektisch auf und ab, der Mann (Peter René Lüdicke) versucht, mit ihr Schritt zu halten. Sie diskutieren, ob sie nicht das Datum ihrer Hochzeit verwechselt haben, denn es ist kein einziger Gast gekommen. Szenenwechsel. Die Musik verliert an Aggressivität. Beide Protagonisten liegen auf dem Boden, schwer einzusehen. Ab und zu kann ich einen Fuß, ein Bein oder einen Arm, der empor gestreckt wird, erhaschen. "Liebesverhör" ist das erste, was mir zu der Szene einfällt: Magst du meine Füße? - Ja. - Meine Schenkel? - Auch. Ja. - Meine Brüste? - Ja. Sehr. - Liebst du mich? - Ja. - Ich dich auch!... Der trockene, ironische Humor ruft schallendes Gelächter hervor.

So reihen sich Szene um Szene aneinander: Gesprächsfetzen aus dem Alltag einer zwischenmenschlichen Beziehung. Man redet aneinander vorbei, hat sich auseinandergelebt, geht einander auf die Nerven. Die anfangs chaotischen, teils verstörenden Beats flauen zu einem monotonen Mischmasch ab, was die Sprachlosigkeit und Lethargie auf der Bühne unerträglich werden lässt. Man weiß nicht recht, ob man lieber lachen oder weinen soll. Oft kann man sich selber wiedererkennen - in der Rolle des Therapierten, der Vorwurfsvollen, des Verständnislosen oder der Liebesuchenden.

Das Stück endet mit demselben grell-blauen Licht, denselben harten Beats, wie am Anfang. Im Abseits stehen jetzt beide Protagonisten und murmeln scheinbar unsinniges Zeug ins Mikro.

Amina Gusner-Körner hat gekonnt Zitate von Persönlichkeiten wie Nietzsche, Max Frisch, Godard, Shakespeare, Ingeborg Bachmann u.a. mit eigenen Texten zu einer ironischen, überaus humorvollen, gleichzeitig aber sensiblen und treffsicheren Analyse zwischenmenschlicher Beziehungen vermischt. Prädikat: sinnlich, verschroben, sehenwert.

Inga von Kurnatowski

Nachträume, Theater unterm Dach, Danziger Str.101, 10./11./12. März, jeweils 20 Uhr.

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