Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
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Der Trainer und das liebe Vieh

Vorbild Otto Rehagel: Mit kontrollierter Offensive will das Berliner Ensemble zurück an die Tabellenspitze

Ob im Theater, beim Fussball oder im richtigen Leben: Gibt es etwas verdächtigeres als die heile Welt? Etwa so eine, wo glückliche Kühe, fesche Dirndl und pitoreske Barockkirchen das triste Dasein dekorieren und Städte nicht nach Hundescheiße sondern nach Dahlmeier Prodomo duften. Dort hat bestimmt jeder zweite einen Haider im Wanderrucksack, oder zumindest dessen Foto ans Kruzifix geklemmt. Was der preussische Großstadtneurotiker aus dem Fernsehen weiss, ist für den alpenländischen Dramatiker eine fette Weide. Im Angesicht von Bigotterie und steifer Konvention reift die Milch der Erkenntnis - von der Claus Peymann, der seit diesem Jahrtausend bekanntlich das Berliner Ensemble bewirtschaftet, gleich mehrere Kannen geordert hat. Kroetz, Bernhard und Handke heißen die Dichter, aus deren Federn die ersten vier Premieren stammen, wenn man von Taboris Brecht-Akte absieht. Der Pragmatiker aus München, der verzweifelte Wahl-Wiener und der Kärntener Schelm - die Peymann-Epigonen.

Ihre Herkunft wäre irrelevant, das Klischee von der falschen Idylle nichts als eben das, drängte sich nicht eine einschlägige Grundhaltung auf: Der Blick in die "gute Stube", die Lust am Demaskieren operettenhafter Rituale und Haltungen. Mit den alten Streitern zaubert sich Peymann auch ein bisschen Heimspielatmosphäre auf den Auftaktspielplan. Ein bisschen heile Welt. Peymanns Welt. Drei der vier Inszenierungen sind Übernahmen oder Wiederaufnahmen, somit publikumsgeprüft. Die Strategie, mit der das BE aus der Abstiegszone gehievt werden soll, heißt kontrollierte Offensive, und vielleicht wird Peymann dereinst als Otto Rehagel des deutschen Theaters gepriesen werden.

Ballannahme vom Co-Trainer

Die Ballannahme klappt bereits vortrefflich: Mit seiner Inszenierung von Handkes "Publikumsbeschimpfungen" hat der Junior im Team, Oberspielleiter/Co-Trainer Philip Tiedemann eine über dreißig Jahre alte Bananenflanke Peymanns aufgenommen, dessen Ur-Aufführung im Frankfurt der 60er Jahre noch die Gemüter erhitzte. Nun muss gesagt werden: Auch die slapstick-mäßige wie süffige Aufbereitung Tiedemanns, die das anklagehafte Moment dieser Filigran-Analyse der Zuschauerposition teilweise karikiert, macht klar: der Text ist ein großer Wurf. Der Dribbelkünstler Handke trifft beim Torschuß, also wenn es um Inhalte geht, oft die Eckfahne, aber beim Fummeln mit Sprachlogik, Wahrnehmung und Wortbedeutung spielt er dem Publikum so manchen lustigen Knoten ins Hirn. Die Ahnung eines Schockeffekts vermittelt allerdings nur der trichterförmige Lautsprecher, der bei geschlossenem Vorhang den Textanfang übernimmt. Wenn der jedoch das ganze Stück über gelaufen wäre...- das hätte gruslig werden können. Wenn die (Schauspiel-)Kunst sich als Maschine outet - das Genie im Zeitalter seiner Reproduzierbarkeit - ist ein brüchiges Tabu berührt, dessen letztes Reservat vorerst eben die Bühne ist. Im Bernhard-Stück "Der Ignorant und der Wahninnige", ebenfalls von Co-Trainer Tiedemann in Form gebracht, begegnet uns die "Kolloraturmaschine", eine entnervte Opern-Diva, die Gesangsetüden am Fließband ausspuckt. Im Spannungsfeld der Hauptakteure, einem hyperaktiven Arzt mit manischen Timbre und dem ungeliebten Vater der Sängerin, ist sie mehr Vorwand als Kristallisationspunkt der Handlung. Denn die Obsessionen der Herren - der Arzt schwadroniert fortwährend über das Leichen-Sezieren, der Vater trinkt Schnaps - führen ein Eigenleben, dessen Kontext (Opernbesuch) fade Erinnerung ist. Small-Talk-Maschine, Kolloratur-Maschine, Mensch-Maschine.

Geschlossenes System

Einen dyadischer Kosmos zweier Menschen untersucht "Das Ende der Paarung" von Kroetz, uraufgeführt Anfang Februar und Peymanns erste BE-Arbeit. Weniger abstrakt als bei Handke, weniger psychoanalytisch als Bernhard skizziert das Stück den Verfalls-Prozess eines Paares durch chronisches Missverstehen, spielhafte Gemeinheit und infantiler Wunschprojektion. Ein geschlossenen System von Ekel und Abhängigkeit initiiert die Regression vormals erfolgreicher Existenzen. Ihr Geschick, dem Schicksal der 1992 in den Freitod gegangenen Politiker Petra Kelly und Gert Bastian nachgezeichnet, schreit geradezu nach Tragik. Nur: Der Moment der Entscheidung fehlt, die Weichen wurden schon vorher falsch gestellt. Am Ende ist man wieder am Anfang: Bert/Bastian mutiert zur Mutter, Sybille/Kelly ergibt sich in kindlichem Trotz. Exitus.

Wieder am Anfang ist auch das System Peymann. Oder ist das Kontinuität? Hinzugekommen ist eine ironische Attitüde, die den politischen Impuls noch erahnen lässt. Vielleicht aber ist diese Form der Historisierung psychologischer Gesellschaftskritik auch ihre Chance, im Zeitalter des Neoliberalismus adäquat zu überwintern.
Klemens Vogel

Alle Stücke im März regelmäßig auf dem Spielplan

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