Ausgabe 02 - 2000berliner stadtzeitung
scheinschlag

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Volk ohne Zimmer?

Es ist natürlich völliger Schwachsinn, eine Annonce in die Zeitung zu setzen, in der man schreibt, dass man eine Wohnung sucht. Die Wohnungen kriegen sowas mit, sie verrammeln die Haustür und verstecken sich vor einem. Nein, Wohnung suchen geht anders. Man muss so tun, als ob man ganz ziellos so rumflaniert, wie der Löwe, der an den Antilopen vorbeischlendert und so tut, als ob sie ihm scheißegal sind, "puh, bin ich satt", bzw. "puh, ich hab ja sowas von eine tolle Wohnung", und wenn die knackigen Wohnungen grade nicht aufpassen, spurtet man los und haut zack seine Reißzähne in sie rein, bis sie sich ihrem Schicksal ergeben.

Aber nee, wir müssen ja eine Annonce in die Zeitung setzen. Und weil´s die Berliner Zeitung ist, schreiben wir "3-4-RAUM-Wohnung", damit die ganzen Ost-Hausverwaltungen glauben, wir seien Volksgenossen.

"3-4-Raum-Wohnung in Mitte oder Prenzlauer Berg", das ist schon mal ein Anfang, jetzt müssen noch zwei solvente Berufe her. Meine Lebensgefährtin (Wohnungsmarktsprache für: Freundin) studiert noch, aber manchmal gibt sie Nachhilfe, also schreiben wir: "Privatdozentin". Aber was schreibt man bei mir, ohne zu lügen? Am liebsten nenn ich mich ja Humorist, doch das klingt nach einem achtzigjährigen Alleinunterhalter, der seit zehn Jahren kein Kreiskulturhaus mehr von innen gesehen hat. Solvent klingt das nicht.

Dann vielleicht: Autor? Autoren, das sind diese windigen Existenzen, die dir für zwanzig Pfennig die Zeile alles schreiben, vom Gelegenheitsgedicht bis zum Verkehrsunfallbericht, und manchmal auch Sachbücher. Davon leben sie. Vor allem Ratgeber. "Mietminderung leichtgemacht", solche Sachen. Autor geht also auch nicht.

Gut, dann hol ich eben den Kulturhammer raus. "Schriftsteller". Das klingt gut, das klingt vertrauenswürdig, das klingt vor allem: leise. "Privatdozentin und Schriftsteller", das sind Mieter, über die sich jeder freut. Die sitzen abends im Sessel und lesen ein gutes Buch. Einen Fernseher, der zu laut sein könnte, besitzen sie gar nicht erst. Und weil sie so schweinskultiviert sind, streiten sie auch nie, indem sie rumschrein. Nein, die streiten, indem sie sich vorwurfsvoll anschweigen. Und wenn´s ganz dicke kommt, halten sie sich gegenseitig irgendwelche Textstellen unter die Nase, die ihre jeweilige Ansicht belegen.

Auch was den Sex angeht, sind die Privatdozentin und der Schriftsteller die idealen Nachbarn, er sagt "öm", sie sagt "öchel", das war´s, und wenn aus dieser Verbindung jemals wider Erwarten und gegen jede Vernunft ein Kind entspringen sollte, dann ist es eins, das dreimal überlegt, bevor´s den Mund aufmacht und in gesetzten Worten um frische Windeln bittet.

So, jetzt sollen die Makler und Vermieter mal anrufen, dann werden wir einen Besichtigungstermin mit ihnen vereinbaren, und wenn dann hundert Leute vor der Wohnung stehen, das Treppenhaus runter bis auf die Straße, dann machen wir die Tür auf, und lassen einen nach dem andern rein. Wir schaun sie uns gut an, neunzig Makler schicken wir wieder weg, und die restlichen zehn bekommen einen Bewerbungsbogen. Die können ja froh sein, dass wir so faire Mieter sind und nur zwei Monatsmieten Provision nehmen.

Tja, leider leider: Die Wohnungsgesuche in der Berliner Zeitung, die liest kein Schwein. Bis auf eines. Ein ziemlich armes. Eine Woche, nachdem die Annonce erschienen ist, ruft er an. Ein Makler mit sächsischem Akzent. Die Wohnung sei zwar nicht mehr direkt in Prenzlauer Berg, aber in "Süd-Bangow". Wir seien doch ausm Osten, oder? Mit Westlern habe er nämlich ganz schlechte Erfahrungen gemacht. Aus Mitleid mach ich einen Besichtigungstermin mit ihm aus. Natürlich kommt er nicht. Naja, wie auch? Er hat mich ja nicht mal nach meiner Adresse gefragt. So kommt er natürlich nie auf nen grünen Zweig.
Bov Bjerg

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